Der „grüne Fürst“
4. März 2021 von Thomas Hartung
Der Königlich-Preußische Hofkoch Louis Ferdinand Jungius widmete ihm in seinem Kochbuch 1839 ein dreischichtiges Sahneeis: Eine Kombination von Schokoladen- und Erdbeer- oder Himbeer- mit Vanilleeis, die aufgrund ihres hohen Sahnegehalts nicht vollständig gefriert – das Halbgefrorene war geboren. 15 Jahre später hat Heinrich Heine das Vorwort zum zweiten Band seines Werkes Vermischte Schriften – Lutezia betitelt: „Zueignungsbrief an Seine Durchlaucht den Fürsten“. Und erst seit 19 Jahren trägt der Asteroid 39571 ebenfalls seinen Namen: Hermann Ludwig Heinrich Graf von, später Fürst von Pückler-Muskau, der am 4. Februar 1871 starb.
Er war das erste von fünf Kindern des Grafen Ludwig Carl Hans Erdmann von Pückler; drei Schwestern und ein sehr früh verstorbener Bruder folgten. Bei seiner Geburt am 30. Oktober 1785 auf Schloss Muskau war seine Mutter Gräfin Clementine von Callenberg erst 15 Jahre alt. Das hatte Folgen: einerseits behandelte ihn die ungefestigt-jugendliche Frau wie ein Spielzeug, „ohne selbst zu wissen, warum sie mich bald schlug, bald liebkoste“, wie er viel später in einem Brief an den Vater schrieb. Zu dieser lebenslangen Suche nach der Mutter – seine Frau, die geschiedene Tochter des preußischen Staatskanzlers Karl August von Hardenberg, sollte dann neun Jahre älter sein – gesellte sich eine sexuelle Präferenz für minderjährige Partnerinnen.
Einer streng pietistische Erziehung unter anderem bei den Herrnhutern und dem Philanthropinum in Dessau, die seine spätere Abneigung gegen den Protestantismus und seine entschiedene Hinwendung zum Pantheismus begründete, schloss sich ein Studium der Rechte an der Universität Leipzig an. Das brach Pückler jedoch frühzeitig ab und begann eine militärische Laufbahn. Als Oberstleutnant und Generaladjutant des Großherzogs Karl-August von Sachsen-Weimar-Eisenach nahm er an der Völkerschlacht bei Leipzig teil, fungierte in den folgenden Feldzügen gegen Napoleon als Verbindungsoffizier zum russischen Zaren Alexander I. und wurde danach kurzzeitig als Militärgouverneur von Brügge eingesetzt.
Da er nach dem Tode des Vaters die Verwaltung Muskaus seinem Freund Leopold Schefer übergeben hatte, fand er daneben Zeit für ausgedehnte Reisen – oft zu Fuß – in die Provence, nach Italien und 1812 zusammen mit Schefer das erste Mal nach England – und entdeckte seine Berufung als Landschaftsgestalter. Nach dem Wiener Kongress 1815 fiel Pücklers Teil der Lausitz von Sachsen an Preußen, womit er nach Schätzungen von Historikern einer der fünfzehn größten Landbesitzer im Königreich wurde. Ironie der Geschichte: Heute liegen zwei Drittel des Muskauer Parks in Polen. Und zur Gestaltung dieses Parks rief er im selben Jahr, unterstützt durch die PR-Aktion eines Ballonflugs, die Bürger von Muskau auf. Er erwarb weitere Grundstücke zur Schaffung eines geschlossenen Parkareals, ließ das Dorf Köbeln umsiedeln und legte los.
Hyazinth-Ara als Geschenk
So ließ er riesige Mengen Mutterboden aus weiter entfernten Gegenden auf Ochsenkarren heranschaffen, da der sandige Untergrund für den geplanten Bewuchs ungeeignet war. Darüber hinaus gelang es ihm erstmals, ausgewachsene Bäume zu verpflanzen, und konnte sein berühmt gewordenes Konzept der „Blickachsen“ schon bei der Anlage der Parks zu verwirklichen. Außerdem beschloss er den freien Zugang für seine Landschaftsgärten und weitete diesen auf jedermann aus. Neben Muskau und dem Park seines Sterbeorts Branitz sind mit seinem Namen in Deutschland verbunden: der „Pücklerschlag“ im Park Ettersberg bei Weimar, die Herzoglich Sachsen-Meiningische Sommerresidenz Altenstein, der Park Babelsberg in Potsdam sowie der Park von Schloss Wilhelmsthal bei Eisenach.
1817 heiratete er Lucie von Hardenberg, wurde 1822 in den Fürstenstand erhoben und ließ sich 1826 wieder scheiden, blieb aber dessen ungeachtet lebenslang freundschaftlich mit Lucie verbunden – der Luciesee im Muskauer Park ist nach ihr benannt. Da er inzwischen verschuldet war, wollte er wiederum nach England reisen, um erneut reich zu heiraten. Zwischen 1825 und 1829 fand er zwar keine Braut, dafür mit seinen Reiseberichten literarischen und finanziellen Erfolg in Deutschland, in England und den USA. Der Fürst beschloss deshalb nach Nordamerika zu reisen, doch wegen eines Duells verpasste er die Schiffsabfahrt.
Stattdessen unternahm er eine Reise über Algier nach Ägypten, wo er von Muhammad Ali Pascha als Staatsgast empfangen wurde und für seinen Aufenthalt einen Palast mit Personal erhielt. 1837 kaufte er sich in Kairo auf dem Sklavenmarkt die etwa 12-jährige Machbuba, die ihn auf der weiteren Reise begleitete. Er gelangte über die Nilkatarakte bis in den Sudan, wo er seinen Namen an den Pyramiden von Meroe eingravieren ließ, und trat 1838 entkräftet den Rückweg an. Machbuba lebte nur noch zwei Jahre als seine Mätresse in Muskau und wurde im Schloss begraben. Pückler bereiste außerdem den Nahen Osten, Konstantinopel, wo er erfolglos versuchte, preußischer Botschafter zu werden, und Griechenland. Einmal brachte er einen blauen Hyazinth-Ara mit, den er Prinzessin Augusta von Sachsen-Weimar-Eisenach, der späteren Kaiserin, schenkte und der zur großen Bestürzung der Beschenkten nach wenigen Jahren in den zugigen preußischen Schlössern verstarb – ein Ereignis, welches die Prinzessin in einem tränenreichen Brief dem, wie sie ihn nannte, „Gartenzauberer“ schilderte.
1845 verkaufte er Muskau und zog sich auf sein Erbschloss Branitz zurück, wo er, stark von Gottfried Semper beeinflusst, sich ebenfalls mit Hingabe der Parkgestaltung widmete. Sein pantheistischer Liberalismus im Sinne der preußischen Reformer um den Freiherrn vom Stein und sein extravaganter Lebensstil machten ihn im reaktionären Preußen der Biedermeier-Ära suspekt. Andererseits beteiligte sich Pückler im Sinne der offiziellen deutschnationalen Linie aktiv an der Germanisierung seiner überwiegend sorbischen Untertanen und vernachlässigte die Volksbildung in seiner Herrschaft. Dem Militär blieb er weiterhin à la suite verbunden und wurde 1863 zum Generalleutnant ernannt. Als solcher gehörte er 1866 zum Hauptquartier des preußischen Königs im Deutsch-Österreichischen Krieg, wo der zu diesem Zeitpunkt 80-jährige die Schlacht bei Königgrätz verschlief und trotzdem für seine Teilnahme ausgezeichnet wurde.
staatenübergreifende Welterbestätte
Im hohen Alter zum Katholizismus konvertiert, widmete er sich bis zu seinem Tod der Schriftstellerei und war der erste deutsche Autor, der Papier für Durchschläge benutzte. Da eine Einäscherung Verstorbener damals aus religiösen Gründen verboten war, griff er zu einer provokanten List und verfügte, dass sein Herz in Schwefelsäure aufzulösen sei und der Körper in Ätznatron, Ätzkali und Ätzkalk gebettet werden solle. So wurde er am 9. Februar 1871 in einer Seepyramide im Parksee des Branitzer Schlossparks beigesetzt. Da er kinderlos war, fielen Schloss und Park nach seinem Tod an seinen Neffen Heinrich von Pückler, Barvermögen und Inventar an seine Nichte und sein literarischer Nachlass an die Schriftstellerin Ludmilla Assing mit der Auflage, die Biographie des Autors zu schreiben und seine ungedruckten Briefwechsel und Tagebücher zu veröffentlichen.
Das Bürgertum erhielt dadurch, dass er als Adeliger Zugang zu den führenden Häusern Europas hatte und seine Leser an diesen Erfahrungen teilhaben ließ, Einblick in die vor ihnen abgeschirmten Milieus des Adels, von dem er sich als Dandy abhob. Von einem „scharfäugigen Zugriff auf sprechende Situationen“ sprechen Kritiker. Dazu kommen uneinschüchterbare Scharfzüngigkeit zumal auch seinem eignen Stand gegenüber, fehlende Prüderie und unangestrengte Ironie. Pückler hatte er einen ausgedehnten Freundes- und Bekanntenkreis unter Künstlern und Schriftstellern und war darüber hinaus mit zahlreichen exotischen Ländern vertraut, die er genau, anzüglich und spöttisch zu schildern wusste.
Von 1930 bis 1945 bestand in Muskau die Fürst-Pückler-Gesellschaft, sie wurde 1979 in Berlin erneut gegründet. Als Fürst-Pückler-Region haben sich Kommunen und öffentlichen Institutionen in den Bundesländern Sachsen und Brandenburg in der Grenzregion zu Polen zusammengeschlossen, um die gemeinsame Öffentlichkeitsarbeit und den Kulturtourismus zu fördern. Seit 2004 ist der Muskauer Park das einzige ostsächsische Welterbe und eine der wenigen staatenübergreifenden Welterbestätten. 2017 würdigte die Stiftung Preussische Schlösser und Gärten den „grünen Fürsten“ mit einer umfassenden Sonderschau in Schloss und Park Babelsberg.