„Ich töte gerne“
2. Juli 2021 von Thomas Hartung
Thomas Burmeister erkannte bei dpa ein Leben, „in dem unentwegt Flaschen geleert, Fische geangelt, Frauen geliebt und Viecher aller Art geschossen wurden, kein Kriegsschauplatz ausgelassen und nun auch noch eine neue wunderbare Droge entdeckt wurde – Afrika.“ Und dort kam er 1954 bei Flugzeugabstürzen gleich zweimal fast ums Leben. Der erste ereignete sich bei einem Sightseeing-Trip in Belgisch-Kongo, der zweite tags darauf auf dem Weg ins Hospital in Entebbe. Der schwergewichtige Autor konnte sich nur retten, indem er die Flugzeugtür mit seinem Schädel aufbrach. Er verlor Gehirnflüssigkeit, erlitt Risse in Nieren, Milz und Leber, eine Quetschung des Rückenwirbels und Verbrennungen auf dem Kopf. Aber er war dem Tod so knapp entkommen, wie es sich für einen echten Abenteurer gehört. Doch es war der Beginn seines quälend lang andauernden physischen Verfalls.
Er ist ein Mann, der fünf Frauen verschliss und nur eine davon nicht zu seiner Ehefrau machen konnte: Die Krankenschwester Agnes von Kurowsky pflegte den Kriegsverwundeten im Lazarett in Italien. Aus dieser Affäre entsteht 1929 sein einziger Liebesroman „In einem anderen Land“. Der Enttäuschung über die Frau, die ihn verschmäht hat, macht er Luft, indem er sie im Roman sterben lässt. Der Tod, eine Situation, die der Mensch nicht verändern kann. Der Moment des Todes hat den Schriftsteller von jeher so fasziniert, dass er ihn am liebsten hätte zu Eis erstarren lassen. Einfach aus Angst, dass er eintritt, aber auch, um zu erforschen, warum. Früh wird er mit gewaltsamem Tod konfrontiert, nicht nur in diesem „anderen Land“ im ersten, sondern auch im Deutschland des zweiten Weltkriegs. Grund genug, um ihn in sein Schaffen einzubeziehen, sich zur Aufgabe zu machen, den Tod zu entmystifizieren, um dem menschlichen Leben einen Hauch von Ewigkeit zu verleihen.
Seine Gegner verurteilten ihn wegen seiner brutalen Dialoge, seine Verehrer liebten ihn für die oft melancholisch anmutenden Erzählpassagen, für die Sehnsucht, die nicht nur den Protagonisten, sondern auch den Leser in die Tiefen seiner Seele führt. So paradox dieser lakonische Stil war, so paradox war der Autor selbst. Als psychisch kranker Alkoholiker gilt er, und diesem Umstand schreibt man auch seinen Selbstmord zu: „Er war ein Mann der Extreme, er wollte leben und töten, lieben und kämpfen – und alles am besten exzessiv“, so Anne Lederer im Ärzteblatt. Seine Hobbys hatten allesamt mit dem Tod zu tun: Krieg und Hochseefischen, Stierkampf und Großwildjagd – ein ausgestopfter Löwe und die Hörner eines Kudu zieren noch heute sein Archiv in der John F. Kennedy Library in Boston. Ein Macho also, dessen Männlichkeitswahn gar die Liebe zu sich selbst übersteigt, so dass er sich nach dem Genuss eines New York Strip Steak mit gebackener Kartoffel und Sour Cream am 2. Juli 1961 mit seiner Lieblingsflinte, seiner „glatten, braunen Geliebten“ erschoss: Ernest Hemingway.
„die Kunst des Weglassens“
Geboren wurde Ernest Miller Hemingway am 21. Juli 1899 als zweites der insgesamt fünf Kinder eines Landarztes und einer eher erfolglosen Opernsängerin in Oak Park/Illinois. Von 1913 bis 1917 besuchte er die Oak Park High School und begann seine Laufbahn als Lokalreporter in Kansas City. 1918 meldete er sich im Ersten Weltkrieg freiwillig als Fahrer des „American Field Service“, eine Art Sanitätstransportgruppe, an der norditalienischen und französisch-deutschen Front, wo er zweimal schwer verwundet und von Kurowsky monatelang gesundgepflegt wurde. 1919 kehrte er in die USA zurück, begann sich erstmals an Prosa zu probieren und wurde 1920 erst Mitarbeiter beim Toronto Star und dann Polizeireporter in Chicago. Hier lernte er seine erste Liebe Hadley kennen und heiratete sie sogleich. Private und berufliche Reisen in die Schweiz, nach Italien, Spanien und in den Nahen Osten folgten.
1921 zog er nach Paris und verschrieb sich der Schriftstellerei ganz, wobei er die Bekanntschaft anderer dort lebender Amerikaner machte, darunter F. Scott Fitzgerald, Ezra Pound und Gertrude Stein, die zwei Jahre später auch Taufpatin seines ersten Sohns John Hadley Nicanor wurde. Stein und Pound lehrten ihn die Kunst des Weglassens und sahen seine Texte durch. Hemingway revanchierte sich, indem er Steins Arbeiten korrigierte und Pound das Boxen lehrte. Das Jahr 1923 führte ihn erstmals ins spanische Pamplona, der Stadt der Stiertreiberei und des Stierkampfs, der für Hemingway eine besondere Bedeutung hatte, betonte er doch Eleganz, Mut und Männlichkeit.
Im selben Jahr erschien seine Erstlingsanthologie „Three Stories and Ten Poems“ mit seiner Premierenerzählung „Up in Michigan“ (1921). Weitere Kurzgeschichten folgten, die geprägt sind von Hemingways hochgelobtem Stil, auch komplizierte Gefühlsverzweigungen durch eine einfache Sprache und Wortwahl zum klaren Ausdruck zu bringen. Viele dieser Shortstories sind heute Hemingway-Klassiker wie etwa „Indianerlager“, „Der Doktor und seine Frau“ oder „Das Ende von Etwas“. 1926 erzielte er einen ersten Erfolg mit dem Roman „Fiesta“, der die „Lost Generation“ thematisiert, die den ersten Weltkrieg miterlebte.
1927 wurde „Männer ohne Frauen“ veröffentlicht, 14 Kurzgeschichten, die von Krieg, Sport und dem Mann-Frau-Verhältnis handeln. Er lernt Pauline Pfeiffer kennen, seine zweite Frau, die er 1927 heiratete, nachdem er sich im gleichen Jahr von Hadley hatte scheiden lassen. Nach sechs Jahren Aufenthalt in Paris, in denen Hemingway den Wandel vom Journalist zum Schriftsteller vollzog, ging er mit seiner neuen Ehefrau im Frühjahr 1928 zurück in die USA und bezog in Haus in Key West. Mit Patrick und Gregory folgten bis 1931 zwei weitere Söhne.
Hemingway reiste 1929 abermals nach Spanien und veröffentlichte 1932 den Roman „Tod am Nachmittag“, in den seine Leidenschaft für den Stierkampf einfloss. Im selben Jahr nahm er mit seiner Frau erstmals an einer Safari in Afrika teil. 1935 erschien „Die grünen Hügel von Afrika“, in dem er Erlebnisse und Eindrücke der Reise verarbeitete, 1936 dann die Kurzgeschichte „Schnee auf dem Kilimandscharo“. Davor hatte er das zwölf Meter lange Fischerboot „Pilar“ gekauft und unternahm Segeltörns in der Karibik.
1937 ging Hemingway im Auftrag der North American Newspaper Alliance NANA erneut nach Spanien und publizierte im Jahr darauf „Wem die Stunde schlägt“, in dem er seine Erlebnisse aus dem spanischen Bürgerkrieg verarbeitete und den viele Kritiker als seinen gelungensten Text lobten. Parallel dazu betrieb er die Scheidung von seiner zweiten Ehefrau Pauline und lebte mit seiner dritten Ehefrau, der Journalistin Martha Gellhorn, ab 1939 auf Kuba. Das Ehepaar erwarb nahe Havanna das Landgut Finca La Vigía im später eingemeindeten San Francisco de Paula. Er nahm die „Pilar“ mit und wurde Stammgast in der Bar El Floridita, wo heute eine Bronzestatue von ihm steht und der legendäre „Hemingway“-Cocktail entstand: Ein Daiquiri ohne Zucker, dafür mit doppeltem Rum („Papa Doble“), ergänzt um Grapefruitsaft und Maraschinolikör. Auf Kuba wird Hemingway heute noch verehrt: Es gibt Museen, Literaturfestivals und Münzen.
„eine neue Milde“
1941 wird er vom KGB angeworben, als „dilettantischer Spion“ aber rasch wieder fallen gelassen. 1943 begab er sich samt Frau in das asiatische Kriegsgebiet des Zweiten Weltkrieges, im Jahr darauf fuhr er allein nach Europa und nahm zunächst an der Ardennenoffensive als Kriegsberichterstatter teil. Zeitweilig wechselte er auf die Seite der Aktiven und führte in einer umstrittenen Rolle als Kommandeur oder Berater eine kleine Gruppe von Widerstandskämpfern in Rambouillet. Im August 1944 erlebte er die Befreiung von Paris mit und beobachtete als Kriegsreporter im November 1944 die Schlacht im Hürtgenwald. Die grausamen Kämpfe an der deutschen Westfront bei Aachen führten bei ihm nicht nur zur Veränderung seines bisher kriegsverherrlichenden Weltbilds, sondern auch zu lange andauernden Irritationen bezüglich seines Verhältnisses zur Wehrmacht.
„Einmal habe ich einen besonders frechen SS-Kraut umgelegt. Als ich ihm sagte, dass ich ihn töten würde, wenn er nicht seine Fluchtwegsignale rausrückte, sagte der Kerl doch: Du wirst mich nicht töten. Weil du Angst davor hast und weil du einer degenerierten Bastardrasse angehörst. Außerdem verstößt es gegen die Genfer Konvention. Du irrst dich, Bruder, sagte ich zu ihm und schoss ihm dreimal schnell in den Bauch, und dann, als er in die Knie ging, schoss ich ihm in den Schädel, so dass ihm das Gehirn aus dem Mund kam, oder aus der Nase, glaube ich.“ Das schrieb Hemingway am 27. August 1949 seinem Verleger Charles Scribner. „Ich töte gern“, verlautbarte er und schrieb am 2. Juni 1950, dass er 122 Deutsche getötet habe. Eines seiner letzten Opfer sei ein junger, auf einem Fahrrad flüchtender Soldat gewesen – „ungefähr im Alter meines Sohnes Patrick“. Er habe ihm mit einer M1 von hinten durch das Rückgrat geschossen. Die Kugel zerfetzte die Leber.
Dass er gegen die Genfer Konvention verstoßen hat, verschweigen selbst seine Bewunderer nicht. Mit der Zahl und Details konfrontiert, wiegeln sie aber meist ab: Man müsse verstehen, es sei Krieg gewesen. Hemingway hat zwar immer dick aufgetragen, den Macho demonstriert – aber was trieb ihn ohne Not zu diesem Eingeständnis? Die Briefe blieben bis heute in allen Ausgaben unkommentiert. Obwohl es keinen Zeugen für die 122 Morde gibt, mit denen er prahlt, sind jedoch nicht wenige Verehrer entsetzt über den „Massenmörder an deutschen Kriegsgefangenen“ (Alfred Mechtersheimer): Die Stadt Triberg im Schwarzwald setzte daraufhin 2002 ihr Festival „Hemingway Days“ ab. Ein Gutachten der Universität Hamburg von 2008 kommt zu dem Ergebnis, es handle sich bei den einschlägigen Briefpassagen um „fiktionale“ Aussagen.
Hemingway fällt in eine tiefe Depression; der Kriegsroman, den alle von ihm erwarten, wird nie erscheinen. „Die reine Friedensliebe ist zwar nicht über ihn gekommen, aber eine neue Milde und ein überraschender Sanftmut fallen nach 1945 schon an ihm auf“, konstatiert Wolfgang Stock. Ein Jahr nach dem Krieg begann Ernest Hemingway die Schreibarbeiten zu dem Romanvorhaben „Land, See und Luft“, aus dem insgesamt vier Romane/Novellen wurden, von denen drei erst posthum erschienen. Er ließ sich von seiner dritten Frau Martha scheiden und ging seine vierte Ehe mit Mary Welsh ein, die die Finca nach seinem Tod dem kubanischen Staat schenken wird.
1948 begann er einen Italientrip, den er zu einer Europa-Reise ausdehnte. Bei einem Venedig-Aufenthalt lernte er die damals 18-jährige Adriana Ivancich kennen, die ihn zu dem Roman „Über den Fluss und in die Wälder“ inspirierte. Die platonische Liebesgeschichte belastete die Ehe des Schriftstellers bis in die 1950er Jahre. 1952 erschien „Der alte Mann und das Meer“, das sein wohl bekanntestes Werk wurde. Innerhalb von zwei Tagen verkaufte sich das Buch fünf Millionen Mal – das letzte, das zu seinen Lebzeiten erschien. Hemingway wurde 1953 dafür mit dem Pulitzer-Preis geehrt und 1954 mit dem Nobelpreis. Da er gar nicht gerne redete, erschien er nicht einmal zur Verleihung und ließ stattdessen in seinem Namen eine knappe Dankesrede verlesen, in deren Manuskript es unter anderem heißt: „Ein Schriftsteller sollte das, was er zu sagen hat, nicht sagen, sondern niederschreiben.“
„soll er aussparen, was ihm klar ist“
Im Mittelpunkt der Handlung steht der alte kubanische Fischer Santiago, der tagelang bei Wind und Wetter, Nacht und Nebel mit einem riesigen Marlin ringt, den er zwar töten und längsseits vertäuen kann, der aber letztlich von Haien verspeist wird, so dass er am Ende mit leeren Händen wieder in den Hafen einläuft. Einige Interpreten sehen darin hintergründig die Beziehung zwischen Mensch und Gott, die Novelle handle im religiösen wie im nicht-religiösen Sinne von der Begrenztheit des Menschen – „Man kann vernichtet werden, aber man darf nicht aufgeben“, ruft Santiago immer wieder sich selbst zu – und der Allmacht der Natur. Die Novelle wurde mehrfach verfilmt: Bereits 1958 mit Spencer Tracy, 1989 entstand als Neuverfilmung ein Fernsehfilm mit Anthony Quinn.
Vorbild für Santiago war der 2002 mit 104 Jahren gestorbene Fischer Grigorio Fuentes, der für 250 Dollar im Monat und freiem Gin und Whiskey Bootsmann der Pilar wurde: „Ich war sein Koch, Seemann, Kapitän, Begleiter“, sagte er dem Spiegel. Fragte man ihn, warum er das Buch nie gelesen habe, antwortete er nur, er wisse ja, was drinstehe. Nur Kritik an seinem Kapitän ließ Fuentes nicht zu. Einmal soll ihn ein argentinischer Fernsehmann gefragt haben, ob Hemingway nicht ein manischer Säufer und Frauenheld gewesen sei. Da erzählte Fuentes keine seiner Geschichten, sondern antwortete dem frechen Journalisten mit einem Fausthieb.
Die Novelle bedeutet sicher den Höhepunkt seines literarischen Schaffens und zugleich auch den Gipfel seines „Eisbergmodells“ – ein erzähltheoretischer Ansatz des „modernen Klassizismus“, den er in einer vielzitierten Passage in „Tod am Nachmittag“ entwickelte: „Wenn ein Prosaschriftsteller genug davon versteht, worüber er schreibt, so soll er aussparen, was ihm klar ist. Wenn der Schriftsteller nur aufrichtig genug schreibt, wird der Leser das Ausgelassene genauso stark empfinden, als hätte der Autor es zu Papier gebracht. Ein Eisberg bewegt sich darum so anmutig, da sich nur ein Achtel von ihm über Wasser befindet.“ Der eigentliche, tiefergehende oder symbolische Bedeutungsgehalt einer kunstvoll aufgebauten Erzählung liegt demzufolge größtenteils im Verborgenen und muss vom Leser durch dessen eigene Vorstellungskraft oder Erfahrung aktiv erschlossen werden: Der Subtext dominiert den Text. „Er ist der Meister des hochdramatischen Schweigens, der Erfinder des schreienden Understatements“, befand Marcel Reich-Ranicki.
Auf den Nobelpreis folgten eine Europareise und eine Afrikasafari mit den beiden Abstürzen. Er schreibt ohne Ende und zeigt seine „neue Milde“, indem er das Schicksal seiner angefahrenen Katze „Uncle Willie“ beklagt. Um sie von ihren Qualen zu erlösen, tötete Hemingway sie mit einem Kopfschuss – und war am Boden zerstört: „Ich habe Menschen erschießen müssen, doch nie jemanden, den ich gekannt und elf Jahre lang geliebt habe“, klagte er am 22. Februar 1953 in einem Brief. „Nicht jemanden, der schnurrte, mit zwei gebrochenen Beinen.“ 1959 reiste er letztmals nach Spanien. In dieser Zeit soll er auch für die CIA tätig gewesen sein und die Pilar mit einem Maschinengewehr und Handgranaten sowie einem Feuerlöscher voll Sprengstoff ausgestattet haben. „Mein Vater“, sagte Patrick Hemingway dem Spiegel, „wollte eben ein bisschen Krieg spielen … Bis zu seinem Ende träumte er von der Rückkehr auf die Insel, die er gegen Deutschlands U-Boote zu schützen versucht hatte.“
Da sich Hemingways Gesundheitszustand Ende der 1950er Jahre zusehends verschlechterte und die Beziehungen zwischen Kuba und den USA nach der kubanischen Revolution ebenfalls zerrüttet waren, entschied das Ehepaar, wegen der besseren Behandlungsmöglichkeiten in die USA zurückzukehren. 1959 erwarb Hemingway ein Landhaus in Ketchum in den Ausläufern der Rocky Mountains. 1960 litt Hemingway mehrfach wieder an Depressionen, weshalb er in eine Klinik kam und mittels Elektroschock-Therapie behandelt wurde. 1961 unternahm er bereits mehrere Selbstmordversuche, bevor er ernst machte – wie übrigens sein Vater 1928 auch, wie seine Schwester Ursula und sein Bruder Leicester. 35 Jahre nach Ernest nahm sich als Fünfte seine Enkelin Margaux, Schauspielerin und Fotomodell, ebenfalls das Leben. Mediziner vermuten eine bipolare Störung in der Familie.
„Angst vor dem Nichts“
Nach seinem Tod wurden zahlreiche Manuskripte aus seinem Nachlass veröffentlicht, darunter „Inseln im Strom“ (1970) und „Der Garten Eden“ (1986). Sein Buch „Die Wahrheit im Morgenlicht“, in dem Hemingway seine letzte Safari in Kenia beschreibt, die er 1953 in Begleitung seiner vierten Frau und seines Sohnes Patrick unternahm, wurde erst 1999 publiziert. Das Buch „Paris – Ein Fest fürs Leben“ (1964) ist nach den Anschlägen vom 13. November 2015, bei denen in Frankreich 130 Menschen getötet wurden, plötzlich zum Bestseller und zum Symbol geworden: Täglich sollen es bis zu 500 Ausgaben sein, die über den Ladentisch gehen – vorher waren es laut „Le Figaro“ zehn am Tag. Mitauslöser für den Hemingway-Boom war ein TV-Beitrag des französischen Fernsehsenders BFMTV, in dem eine Frau die Lage in Paris reflektierte und dabei das Buch erwähnte. „Es ist sehr wichtig, ‚Paris – ein Fest fürs Leben‘ von Hemingway mehrmals zu lesen, denn wir sind eine sehr alte Zivilisation und wir tragen unsere Werte sehr stolz“, sagte die 77-Jährige kurz nach den Anschlägen – der Autor berichtet ganz einfach von seinen Pariser Erlebnissen 1921 – 1926.
Seinem Leben widmeten sich mindestens acht Dokumentationen und Theaterstücke, darunter 1996 „In Love and War“ mit Chris O’Donnell und Sandra Bullock oder 1999 „Hemingway Adventure“ vom „Monthy Python“ Michael Palin. „Zeitweise scheint ihm seine perfekte Selbstinszenierung wichtiger gewesen zu sein als seine Prosa“, befindet Reich-Ranicki in der FAZ. „Auf der Suche nach der Einheit von Wort und Tat schreckte er vor keinerlei Konsequenzen zurück, kein Risiko war ihm zu groß, um die Synthese von Leben und Literatur zu verwirklichen. Wie dieser Odysseus sein eigener Homer wurde, so wollte dieser Homer um jeden Preis sein eigener Odysseus sein. Er hat zunächst erzählt, was er erlebt hat, während er später zu erleben bemüht war, was er erzählen wollte.“ Seit 1980 richtet die Hemingway Look-Alike Society einen Wettbewerb in Key West aus, auf dem der Mann gesucht wird, der Ernest Hemingway am ähnlichsten sieht.
Die besondere Aussage der Werke Hemingways läge in der Symbolkraft der Natur, meint Lederer. Im Schutz der Bäume, in der Macht gewaltiger Berge, in der Tiefe der Täler und der Unendlichkeit des Meeres findet der Hemingway-Protagonist Zuflucht. Die Natur und ihre Gewalten deuten ihm seinen Weg, wenn der Autor es regnen und stürmen lässt, wenn die Sonne brennt und der Schnee fällt: „Die Natur ist oft das Letzte, worauf sich der Mensch bei Hemingway verlassen kann, und oft auch das Einzige, mit dem zu kommunizieren sich für ihn lohnt.“
Bei Hemingway findet jeder seinen Frieden in der Natur – aber nur so lange, wie er auch mit ihr allein ist. Denn es ist die Menschheit, die einen immer wieder aufmerksam macht auf die eigenen Schwächen. Gelingt es nicht, den Konflikt zu bewältigen, dann steht am Ende aller Schwächen der Tod. Der Mensch als intelligentes Wesen besitzt dann, gegenüber der Natur, das Privileg, ihn selbst eintreten zu lassen. Diese Freiheit hat Ernest Hemingway sich genommen, bilanziert Lederer: „Größer als die Angst vor dem Nichts war die Angst, diesen Moment nicht selbst bestimmen zu können“.