„So wahr ich der liebe Gott bin“
22. September 2021 von Thomas Hartung
Sein Rollenfach sei der Draufgänger, ob als Offizier, Reporter oder Möbelpacker, „ein Anarchist des Alltags, ein Desperado, der auf keine andere Fahne schwört als auf den frechen Wimpel der eigenen Unwiderstehlichkeit“, wie Hans-Christoph Blumenberg urteilt. Ein anderer Kritiker nennt ihn „den Troubadour des 20. Jahrhunderts“, etwas farblos zwar, „aber von gewinnender seelischer Blondheit“. Selbst Udo Lindenberg bekennt sich in seinem Buch „El Panico“ als Verehrer des „Breitwantologen“, der eins seiner größten Vorbilder gewesen sei: Er „guckte nach oben und kriegte deshalb das berühmte Sahneauge, diesen unkopierbaren Geilblick. Irgendwie war der auch nicht so ganz von dieser Welt.“
Als er im Frühjahr 1943 seine Berliner Hotelsuite für den König von Bulgarien räumen sollte, weigerte er sich – mit der Bemerkung, er sei selbst ein König. So eine Tollkühnheit hätte andere sofort den Kopf gekostet. Sie zeugt von Systemverachtung ebenso wie von Selbstverliebtheit, wie Schauspielkollege Fritz Kortner nach dem Krieg betonte: Er habe aus Gesprächen mit ihm erkannt, „dass sich seine Abneigung gegen den Diktator Hitler auch auf den Publikumsliebling Hitler bezog. Er fand sich von ihm auch auf diesem Gebiet in den Schatten gestellt.“ Gern sagt er „So wahr ich der liebe Gott bin“, erscheint wie eine Lichtgestalt am Set und begrüßt lautstark alle Anwesenden, die den Gruß im Chor erwidern: Hans Philipp August Albers, der am 22. September 1891 in Hamburg als Sohn eines Schlachtermeisters geboren wurde und als „blonder Hans“ zum Volksidol wurde.
Vier Töchter und ein Sohn bevölkern das Haus schon; sowohl die Schwestern als auch die Mutter sollten ihn lebenslang verhätscheln. Schon als Kind entdeckt er das Theater: Das Hansa-Varieté am Steindamm, wo er lernt, was Applaus ist, und wo er Otto Reutter erlebt. In der Schule hat er kein Glück: Von der Uhlenhorster Oberrealschule wurde er nach einem tätlichen Konflikt mit einem prügelnden Lehrer als Quartaner verwiesen; ähnliches erlebte er in der St. Georgs-Realschule. Mehr Anerkennung fand Albers als begeisterter Jungsportler im Schwimmklub Alster. Dort schrubbt er Ausflugsboote, um sich seine wachsende Theaterleidenschaft zu finanzieren. Er ist 14, als er anfängt, die Tapete seines Zimmers mit seinem Namenszug vollzukritzeln: Als Übung, wie die Unterschrift eines Stars aussehen müsste. Denn da weiß er schon, dass er Schauspieler werden muss.
Als Lehrling in einer Chemikalienhandlung nimmt er heimlich Schauspielunterricht. Der Vater, keineswegs begeistert, verbannt ihn nach Frankfurt. Dort steht Hans Albers, tagsüber Kommis in einer Seidenfirma, 1911 als Bedienter in Kleists „Der zerbrochene Krug“ zum ersten Mal auf einer Bühne. Erfahrungen als Darsteller sammelte er dann am Theater des sächsischen Kurorts Bad Schandau, anschließend am Frankfurter „Neuen Theater“ und am Stadttheater Güstrow sowie bei einer mecklenburgischen Wanderbühne und einem Vaudeville-Theater in Köln. 1913 wird er erstmals in Hamburg engagiert, 1915 erhielt er in „Jahreszeiten des Lebens“ seine erste Stummfilmrolle. Bekannt bis heute ist er als Protagonist in „Der böse Geist Lumpaci Vagabundus“ nach der Zauberposse von Johann Nestroy (1922). Zur Armee eingezogen, wurde er als Soldat im Ersten Weltkrieg an der Westfront schwer verwundet und entging nur knapp einer Beinamputation.
„vom Kronleuchter runter springen“
Nach dem 1. Weltkrieg spielte Albers an verschiedenen Berliner Theatern und trat in Revuen und Operetten als Schauspieler, Sänger, Tänzer, Komiker und Artist auf. Er ist ein Kraftprotz, für keinen Gag, kein akrobatisches Kunststück ist er sich zu schade: „So schnell siegt man ja nicht … tausend nackte Beine, da musste ich dann vom Kronleuchter runter springen, und da habe ich die harte Schule des täglichen Theaterspielens durchgemacht.“ „Hinreißend leuchtet dieser Mensch von innerer, mutwilliger Freude, scheint zu jeglicher Tollheit bereit, scheint zu allem fähig, was fröhlich, überschäumend und dabei leise selbstparodistisch ist“, formuliert es Bambi-Erfinder Felix Salten. Claire Dux, Primadonna der Hofoper, verliebt sich in den neun Jahre jüngeren Schauspieler, lässt sich für ihn scheiden – und heiratet doch einen Fleischkonserven-Millionär in den USA.
1928 gelang ihm dann ein großer Erfolg als „seriöser“ Charaktermime, nachdem er als schurkischer Kellner Gustav Tunichtgut in dem Stück „Die Verbrecher“ besetzt wurde. Albers erntete glänzende Kritiken: „Es war eine Sternstunde des Theaters. Albers ist kein Durchschnittsmime, sondern ein Vollblutkünstler.“ Die drei Jahre danach verschafften ihm dann den Durchbruch. Nach über hundert Stummfilmrollen als charmanter Herzensbrecher, Liebhaber, Schurke, Zuhälter, skrupelloser Verführer oder Mann von Welt spielte er 1929 als fast Vierzigjähriger in einem der ersten deutschen Tonfilme „Die Nacht gehört uns“. „Ich bin ja der größte Schauspieler der Welt! Du, ich kann ja wirklich was! Die Sache hat ja hingehauen“: Diese Jubelworte soll Albers ausgerufen haben, als er den Film zu Gesicht bekam. Er war einer der wenigen, die den Übergang vom Stummfilm zum Tonfilm überstanden, da er Mimik und Sprache in gleichem Maße beherrschte.
Obwohl Hans Albers in vielen Filmen gefährliche Szenen drehen wird, ließ er sich nie doubeln. Er war sportlich durchtrainiert und hielt nichts davon, andere die Risiken seiner Arbeit tragen zu lassen. Eine Haltung, die in gewissem Sinne typisch für sein Leben war. 1930 folgte der legendär gewordene „Blaue Engel“ nach dem Roman „Professor Unrat“ von Heinrich Mann – obwohl Hauptdarsteller Emil Jannings dafür sorgte, dass entscheidende Szenen mit Albers aus der fertigen Fassung herausgeschnitten wurden. Im gleichen Jahr kam der Krimi „Der Greifer“ in die Lichtspielhäuser – knapp drei Jahrzehnte sollte Albers diese Figur, allerdings nun als pensionierter Kripo-Kommissar, in einem Remake spielen. Und 1931 schließlich stellt die Titelrolle als Karussell-Ausrufer in Franz Molnars „Liliom“ an der Berliner Volksbühne den Höhepunkt seiner Bühnenkarriere dar – über 1.800 Mal wird er ihn zeitlebens spielen: „Komm auf die Schaukel, Luise!/ Es ist ein großes Plaisir. / Du fühlst Dich wie im Paradiese / und zahlst nur ‘nen Groschen dafür.“
Mit „F.P. 1 antwortet nicht“ feiert Albers 1932 seinen ersten großen Filmerfolg, der dazugehörige Filmsong „Das Fliegerlied“ („Flieger, grüß mir die Sonne“) wird ein populärer Schlager – wie viele weitere Filmsongs, darunter „Jawoll, meine Herr’n“ aus der Kriminalkomödie „Der Mann, der Sherlock Holmes war“ gemeinsam mit Heinz Rühmann (1937). Als Josef Goebbels den deutschen Film „reformiert“ und der Prototyp des Optimismus in den Dienst der Nazi-Propagandamaschinerie gerät, werden Filme und Rollen strammer. Die Toupets, die er seit zehn Jahren tragen muss, sitzen inzwischen perfekt. „Jeder Zoll ein Naziführer“, urteilt der Philosoph Ernst Bloch 1934 im Exil; „Albers, was für ein ekelhafter Bursche“, schimpft der ebenfalls geflohene Schriftsteller Klaus Mann, „dasselbe Volk, das den Autor von ‚Mein Kampf‘ zu seinem Führer, zu seinem Gott gemacht hat, quietscht vor Wonne, wenn Albers, der Unausstehlich-Unwiderstehliche, seine rohen Kunststücke zeigt.“
„ich finde alles ganz großartig“
„Seine Augen leuchten wie Jupiterlampen, der eisblaue Blick duldet keinen Widerspruch“, meint Emanuel Eckardt in der Zeit. Es ist wahr: Der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda ist von dem „Teufelskerl“ fasziniert. Schützend hält er seine Hand über ihn. Albers macht sich nie viele Gedanken darüber, welche Wirkungen seine Filme und sein persönliches klassisch-deutsches Aussehen ausüben; als Star wird er verwendbar: Gustav Ucickys „Flüchtlinge“ (1933), Johannes Meyers „Henker, Frauen und Soldaten“ (1935), Herbert Selpins „Wasser für Canitoga“ (1939), „Trenck, der Pandur“ (1940) und „Carl Peters“ (1941) gehören zu den schärfsten Propagandafilmen. Das Dubiose dabei: Albers meidet offizielle Veranstaltungen. Bei der Verleihung des Staatspreises für „Flüchtlinge“ lässt er sich vertreten – ein Affront. Es gibt kein Foto, das ihn mit einer Nazigröße zeigt; anders als die meisten seiner Kollegen erhält er nie ein signiertes Bild des „Führers“: Hans Albers verachtet das System, das ihn auf Händen trägt, zum „Gottbegnadeten“ macht und unvorstellbare Gagen zahlt.
Er zieht sich zurück, kauft in Garatshausen am Starnberger See ein prächtiges Anwesen, züchtet Rosen und weigert sich, der Reichsfilmkammer beizutreten, was für Schauspieler Pflicht ist. Als sein Pass gesperrt wird und fällige Gagennachzahlungen einbehalten werden, wird Albers Problem namhaft: Es heißt „Hansi, ‚nichtarisch‘“ – mit der Tochter seines Mentors Eugen Burg ist er seit 1925 liiert. Er arrangiert eine Scheinehe mit dem Norweger Erich Blydt, doch Hansi wird der Druck zu groß. 1939 nutzt sie einen Urlaub in der Schweiz, um sich nach London abzusetzen. Hans Albers bleibt und trägt damit zur Befriedung und Moral der „Heimatfront“ bei. Er ist bald fünfzig, spricht kein Englisch und ist im Ausland kaum bekannt. Außerdem hat er gut zu tun, obwohl er, um sich dem nationalsozialistischen System so weit wie möglich zu entziehen, bis 1945 nicht mehr Theater spielt.
Albers trinkt mehr und mehr, vor allem Cognac, schwankt aber nie, sondern redet frei von der Leber weg: „Kinder, ich finde alles ganz großartig, nur zwei Sachen müssten anders sein. Einmal müsste meine Hansi hier sein, denn die hat heute nur noch arisches Blut, nachdem ich jahrelang mit ihr zusammen war. Und dann reden Rundfunk und Zeitungen seit Jahren dauernd von Hindenburg und Hitler, da gehöre ich doch dazu, mein Name ist schließlich genauso bekannt.“ „Albers ist gewissermaßen ein ins Filmische transportierter Nationalsozialismus, die bewusste Flucht aus dem pessimistisch gefärbten, pomadigen Opportunitätsdusel des Alltags“, schreibt ein anonymer völkischer Filmbeobachter. Denn den Hans lieben sie alle, auch und gerade in den roten Arbeitervierteln. Albers-Premieren, die jetzt im Abstand von wenigen Monaten stattfinden, gehen nie ohne hysterische Tumulte, ohne einen schier rauschhaften Jubel ab.
In dem Farbfilm „Münchhausen“, dessen Drehbuch Erich Kästner wegen Schreibverbots unter dem Pseudonym „Berthold Bürger“ verfasst hat, kann Albers 1943 als Lügenbaron nochmals seine schauspielerischen Fähigkeiten beweisen. 6,6 Millionen Reichsmark wird der Streifen am Ende kosten. Die Premierenfeier, einen Monat nach Stalingrad, findet ohne Albers statt, der schon seinen nächsten Farbfilm „Große Freiheit Nr. 7“ dreht – seinen größten und zugleich merkwürdigsten Film, ein Meisterwerk. Eigentlich will die Marine ein Denkmal für ihre Heroen. Aber Regisseur Helmut Käutner macht die Sehnsucht nach der Seefahrt zum Thema und das Leben auf St. Pauli. Die Helden sind betrunken, die deutsche Frau raucht und ist überhaupt sehr selbstbewusst, nicht zuletzt in ihrer Partnerwahl. Viele Szenen müssen Studios im besetzten Prag gedreht werden, da Hamburg schon zu zerstört ist.
Käutner gelingt es, mitten im „totalen Krieg“ eine Welt ohne Waffen und Trümmer zu zeigen, dennoch voll bitterer Abschiedsgewissheit und existenzialistischer Melancholie. Dazu gibt es surrealistisch anmutende Traumsequenzen und kühne Schnitte. Kein einziges Hakenkreuz ist zu sehen, nur ganz am Schluss, der jedes Happy End verweigert, flattert eins. Von Durchhaltepropaganda keine Spur, stattdessen der Titelsong „La Paloma“ mit Zeilen wie „Einmal muss es vorbei sein“ und „Früh oder spät schlägt jedem von uns die Stunde“: Ein starkes Stück, mit diesem Film überschritt Albers alle Grenzen. Großadmiral Dönitz legt sein Veto ein, der Film wird umgehend verboten, und Goebbels gerät in Rage, als er von der bizarr hohen Gage von 460.000 Reichsmark erfährt, die sein Schützling für dieses „defätistische Machwerk“ kassiert hat.
„Das ist das Ende“
Noch am 4. April 1945 verfügt der Minister, dass alle Verträge mit dem Schauspieler Albers aufzulösen sind – das ist auch eine Kapitulation. „Nur seine beispiellose Popularität schützte ihn vor Verhaftung, wie hätte man das Verschwinden des blonden Ideal-Ariers den Millionen Verehrern plausibel machen sollen“, erkennt Axel Eggebrecht. Im September 1945 wurde der Film im Berliner Westsektor als erste Filmpremiere nach dem Zweiten Weltkrieg gezeigt, ein halbes Jahr später lief er in den Ostberliner Kinos an. Der Film wurde ein beispielloser Erfolg und mit dem Schwedischen Kritikerpreis ausgezeichnet. Hans Albers galt nach dem Krieg als erster deutscher Star auf der Kinoleinwand.
1946 kehrt Hansi zurück, wirft die im Haus wohnende Frau binnen fünf Minuten raus, überschüttet ihn mit Fragen und Vorwürfen – und zieht doch wieder ein: Um 15 Jahre wird sie die Liebe ihres Lebens schließlich überleben, während Albers unverheiratet bleibt. Seine erste Produktion nach Kriegsende war der 1947 gedrehte und in Berlin spielende Film „…und über uns der Himmel“, der ihn als Kriegsheimkehrer zeigt. Er konnte seine Filmkarriere nahtlos fortsetzen, unter anderem in dem sehr erfolgreichen Streifen „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“ mit Heinz Rühmann. Aus dem Sieger ist ein Melancholiker geworden. Wieder trifft er damit die Stimmung seines Publikums. Der alternde Seemann, der Kapitän, der nach Hause zurückkehrt, wird seine neue Paraderolle. Ein Höhepunkt seines späten Filmschaffens war die 1956 gedrehte Literaturverfilmung „Vor Sonnenuntergang“ nach Gerhart Hauptmann, die auf der Berlinale einen „Goldenen Bären“ erhielt. Es folgten Filme wie „Der tolle Bomberg“ oder „Das Herz von St. Pauli“. Sein letzter Film „Kein Engel ist so rein“ 1960 schließt mit dem von Hans Albers gesprochenen Satz: „Das ist das Ende“.
Während einer Theateraufführung von Zuckmayers „Katharina Knie“ war er mit schweren inneren Blutungen zusammengebrochen, konnte aber im Juni 1960 noch das Bundesverdienstkreuz aus der Hand von Bundespräsident Heinrich Lübke entgegen nehmen. Albers starb am 24. Juli 1960 in einem Sanatorium im bayerischen Kempfenhausen. Viele, die die Nachricht im Rundfunk hörten, waren erschüttert. Einen Tag nach seinem Tod schreibt eine Hamburger Zeitung: „Es ist, als ob jemand ein Stück des Hamburger Michels abgerissen hätte.“ Albers‘ Leichnam wurde eingeäschert und die Urne unter großer Anteilnahme der Bevölkerung – rund dreißigtausend Fans nahmen Abschied von dem Schauspieler – auf dem Friedhof Ohlsdorf in seiner Geburtsstadt Hamburg beigesetzt.
Er spielte in rund 180 Filmen, stand in zahllosen Rollen auf der Theaterbühne und machte sich auch für nachfolgende Generationen mit rund achtzig Schallplattenaufnahmen aus den Soundtracks seiner Filme unsterblich. Der Theaterkritiker Friedrich Luft feierte ihn, indem er ein für alle Mal dem Begriff „Volksschauspieler“ alles Herabsetzende nahm: „Er gehört zu denen, deren Rollen man eigentlich gar nicht sehen will. Man geht hin, ihn zu sehen, sich an seinem unbeschnipselten Selbstbewusstsein zu stärken. Denn Schwierigkeiten mit sich selbst scheint Albers nicht zu kennen, er ist immer mit Hans Albers gründlich zufrieden. Er strahlt, er gefällt sich erst einmal selber, darum gefällt er auch den Leuten so gut. Kerle wie er sind ein Gottesgeschenk, weil man selbst gerne so wäre.“