Wie ein unechtes Badezimmer zu einem echten gefälscht wurde
24. März 2011 von Thomas Hartung
Andreas Kopietz hat sich in der „Berliner Zeitung“ geoutet. Er hat zugegeben, das „Heiligtum der Weisheit beschmutzt, das Wissen der Vielen, die Schwarmintelligenz in die falsche Richtung gelenkt“ zu haben. Was das heißt? Andreas Kopietz hat einen Wikipedia-Eintrag gefälscht und sich dafür „entschuldigt“.
Das mag nun – angesichts der Prominenz anderer „Fälscher“ – bei einem Hauptstadt-Journalisten eine höchstens nette Story sein, die dankbar vom Muttermedium als „Web 2.0 im Selbstversuch“ geteast wird. Aber gerade die zeitliche Nähe zu jenem anderen, ministeriellen Outing sowie mancherlei Rezeptionsparallelen verführen mich dazu, ein paar Vergleiche anzustellen: Fälschung „von oben“ gegen Fälschung „von unten“ sozusagen.
- Kopietz hat keine wissenschaftliche Arbeit gefälscht, um sich akademische, reputative usw. Vorteile zu verschaffen. Er hat der Karl-Marx-Allee in Berlin-Friedrichshain einen neuen virtuellen Namen gegeben: „Wegen der charakteristischen Keramikfliesen wurde die Straße zu DDR-Zeiten im Volksmund auch ,Stalins Badezimmer‘ genannt.“ Aus unterhaltsamer Erregung darüber, dass „Berolinismen“ (wie „Telespargel“, „schwangere Auster“, „Bundeswaschmaschine“ oder „Eierwärmer“) wohl nur von Journalisten oder Tourismusagenten erfunden wurden. Was lag näher, selbst einmal Volksmund zu spielen – zudem publizistisch verwertbar.
- Kopietz hat aus seinem Text keine Melange werden lassen, deren Urheber (?) jeden Überblick verlor. Er hat fast minutiös dokumentiert, wer wann in welchen publizistischen, ja akademischen Zusammenhängen die architektonische Metapher nutzte.
- Kopietz hat sich (vielleicht?) nicht darauf verlassen, dass „Gutachter“ den Schwindel sowieso nicht bemerkten. Er hat auf den gesunden Menschenverstand der Netzgemeinde gesetzt – und damit aufs falsche Pferd. Fast ungläubig registriert er also, wie der Webdienst „wiki-watch“ (Europa-Universität Viadrina Frankfurt/Oder), der dem Nutzer helfen will, die Zuverlässigkeit eines Wikipedia-Artikels einzuschätzen, seinem „Badezimmer“ immerhin vier von fünf Sternen sowie den Titel „Zuverlässige Quelle“ verlieh.
- Kopietz hat (vielleicht?) nicht damit gerechnet, dass andere Medien die Wikipedia-Quelle ungeprüft nutzen – und sich wiederum verrechnet. „Stern“, „MOZ“ und „SPON“ taten genau dies, was im Falle „SPON“ zu einer unbeabsichtigten Duplizität der Ereignisse führte. Wir erinnern uns: am Tag, als die Republik den neuen Wirtschaftsminister zu Guttenberg präsentiert bekam, manipulierte ein Jungjournalist dessen Wikipedia-Eintrag, in dem er den ohnehin reichlichen Vornamen des Freiherrn noch einen hinzu fügte: Wilhelm. Ein paar Stunden später tauchte der dann überall im Internet auf, eben auch bei SPIEGEL ONLINE (und nicht zuletzt auch auf der Titelseite der „Bild“).
- Anekdote am Rande: Kopietz hat am 16. Februar 2009 seinen Text ins Netz gestellt und am 17. März 2011 löschen wollen. Das ist ihm zunächst nicht gelungen; ehrenamtliche Wikipedianer verhinderten das. Nach der heutigen Veröffentlichung allerdings schon.
Und die Moral von der Geschicht? Da müsste ich jetzt Stunden schreiben. Ich mach‘s kurz und zitiere Fritz Reuter: „Wat den Eenen sin Uhl‘, ist den Annern sin Nachtigall“. Miau.