„zart, innig und liebenswert“
16. November 2021 von Thomas Hartung
Im Winter 1227/28 war die einst so beliebte Adlige am Tiefpunkt ihres Lebens angekommen: Niemand wollte ihr und ihren drei kleinen Kindern Obdach gewähren. Weder die wohlhabenden Bürger noch der Klerus öffneten ihnen die Türen. Selbst die Armen, denen sie einst geholfen hatte, verspotteten die verstoßene Adlige. Als sie mit ihren Kindern schließlich in einen alten Schweinestall ziehen musste, soll sie bitter festgestellt haben: „Den Menschen würde ich gern danken, aber ich weiß nicht wofür.“ Für immer mit ihr verbunden bleibt das sogenannte „Rosenwunder“, das ihre Mildtätigkeit und Heiligkeit sowie ihre Zuwendung zu den Armen und zur Armut ausschmückt. Da andere Versionen die Legende auf Elisabeth von Portugal sowie auf Nikolaus von Tolentino beziehen und eine ihrem Gatten verheimlichte Mildtätigkeit historisch unwahrscheinlich ist, ist davon auszugehen, dass die Wanderlegende erst nach ihrer Heiligsprechung auf sie übertragen wurde.
Die Geschichte dazu geht so: Als sie eines Tages in die Stadt geht, um den Armen Brot zu geben, obwohl gerade dies ihr unter Strafe verboten ist, trifft sie die Mutter ihres Mannes (in anderen Versionen ihren Mann selbst), die ihre Barmherzigkeit nicht gutheißt und ihr eine Falle stellen will. Auf die Frage, was sie in dem Korb (andere Versionen: unter der Schürze) habe, den sie bei sich trägt, antwortet sie, es seien Rosen im Korb. Ihre Schwiegermutter bittet sie, das Tuch zu heben, um die wunderbaren Rosen sehen zu können. Widerwillig hebt sie das Tuch, und im Korb sieht die Schwiegermutter statt Broten nur: Rosen. Von Hans Gottwald, einem Schüler Tilman Riemenschneiders, 1515 in Saalburg über Moritz von Schwind 1855 in Eisenach bis Josef Wittmann 1956 im bayrischen Kehlheim reichen die bildlichen Darstellungen von ihr und dem Wunder: Elisabeth von Thüringen, die am 17. November 1231 in Marburg starb.
Geboren wurde sie 1207 auf Burg Sárospatak bei Preßburg. Zeitgleich fand der berühmte „Sängerkrieg“ auf der Wartburg statt. Dichtung und Legende erzählen von der Anwesenheit des zauberkundigen Klingsor aus Ungarn und seinem prophetischen Hinweis auf die Königstochter Elisabeth: Ihr Vater war der ungarische König Andreas II., ihre Mutter Gertrud entstammte der einflussreichen Familie Andechs-Meranien. Über ihre Geschwister, die sie bestenfalls flüchtig kannte, war sie mit dem europäischen Hochadel verbunden: Ihr Bruder Béla folgte seinem Vater auf dem ungarischen Thron, ihre Schwester Maria heiratete Iwan Assen II., den Zaren von Bulgarien.
Aufgrund ihrer Herkunft wurde Elisabeth unter Einfluss der politischen Interessen von Papst Innozenz III. und einer Fürstenkoalition gegen Kaiser Otto IV. als politische Schachfigur im Machtspiel der europäischen Dynastien benutzt. Entsprechend der damaligen Praxis zog die Prinzessin bereits als Vierjährige zur Familie ihres Verlobten, Hermann von Thüringen. Dort übernahm die fromme Landgräfin Sophie die Erziehung ihrer zukünftigen Schwiegertochter. Elisabeth wuchs deshalb überwiegend auf den Residenzen der thüringischen Landgrafenfamilie auf, darunter der Neuenburg bei Freyburg/Unstrut, der Runneburg bei Weißensee und schließlich der Creuzburg an der Werra.
Elisabeth fiel durch Frömmigkeit, Schönheit und Sittsamkeit auf. Die Verlobungszeit aber verlief so gar nicht nach Plan. Erst fiel Elisabeths Mutter Gertrud einem politischen Mord zum Opfer. Weil dadurch die Auszahlung von Elisabeths versprochener Mitgift unsicher wurde, sank auch ihre Stellung in Thüringen. Dann starb überraschend der älteste Sohn des Landgrafen, Elisabeths Verlobter Hermann; ein Jahr darauf auch sein Vater. Die unbrauchbare Kinderbraut solle zurückgeschickt werden, forderten immer lautere Stimmen bei Hofe. Als Herrscher stand nun der zweitgeborene Ludwig an, der, nachdem er volljährig geworden war, 1218 als Ludwig IV. Landgraf wurde – und Gefühle für Elisabeth entwickelt hatte. 1221 heiratete er die Vierzehnjährige in Eisenach.
„ist mir die Welt gestorben“
Es war eine für diese Zeit völlig unübliche Liebesehe, aus der drei Kinder hervorgingen; darunter Sophie (1224–1275), die später als Herzogin von Brabant in Gestalt ihres Sohnes Heinrich Stammmutter des Hauses Hessen wurde – von ihr stammen alle noch heute lebenden Nachkommen Elisabeths ab. Entgegen späterer Legenden unterstützte der sonst so skrupellose Machtpolitiker Ludwig die karitativen Ambitionen seiner Frau. 1223 gründete das Paar gemeinsam das Maria-Magdalenen-Hospital in Gotha. Als 1225 die ersten Franziskaner nach Eisenach kamen, übte deren Ideal befreiender Besitzlosigkeit großen Einfluss auf Elisabeth aus. Sie gründete unterhalb der Wartburg ein zweites Hospital, unterstützte das Kloster und kümmerte sich selbst um Bedürftige, besuchte Armenviertel. Trotz der Unterstützung, die Elisabeth darin von ihrem Mann erhielt, wurde ihr Engagement von der Familie mehr als skeptisch betrachtet.
Armenfürsorge gehörte zwar zu den traditionellen Aufgaben einer mittelalterlichen Landesfürstin, doch Elisabeth wollte nicht nur von ihrem Überfluss geben. Sie verschenkte zunehmend ihren Schmuck und trug nur zu höfischen Anlässen widerwillig ihre prächtigen Gewänder. Dass sie persönlich aussätzige Kinder pflegte und sogar Verstorbene für ihre Beerdigung wusch, empfand ihr Umfeld als Zumutung: Elisabeth solle sich endlich standesgemäß verhalten und Thüringen als Landgräfin würdig vertreten. Ausführlich berichten die Legenden, wie sie unerschüttert den Verleumdungen und Vorwürfen ihrer Umgebung standhielt.
1226 betrat der gefürchtete, redegewaltige Kreuzzugprediger und Inquisitor Konrad von Marburg den Hof bei Eisenach. Er wurde Elisabeths geistlicher Leiter und Beichtvater und sah in der frommen Adligen vor allem seine Chance, als „Macher“ einer neuen Heiligen Ruhm zu erlangen. Der strenge Priester trieb Elisabeth zu immer neuen asketischen Höchstleistungen an. Bald war Ludwig die einzige Person, die außer Konrad noch nennenswerten Einfluss auf Elisabeth hatte. Ludwig war inzwischen dem Deutschen Orden beigetreten und wurde prompt zum 5. Kreuzzug gerufen. Kurz vor seiner Abreise legte die damals zum dritten Mal schwangere Elisabeth ein doppeltes Gelübde ab: Soweit dadurch nicht Ludwigs Rechte betroffen würden, versprach sie auf ihren geistlichen Leiter hören. Und sollte sie Witwe werden, wollte sie ehelos bleiben und Konrad gar absoluten Gehorsam leisten.
Ludwig erkrankte im italienischen Brindisi, wurde – schon eingeschifft – in Otranto wieder an Land gebracht und starb dort 1226 an einer Seuche – die Legende berichtet aber auch von einem verderblichen Trank, den er mit der Kaiserin Jolanthe getrunken habe, denn auch sie starb. Elisabeth war tief traurig: „Mit ihm ist mir die Welt gestorben“. Der Legende nach zersprang der Stein ihres Ringes bei der Todesnachricht. Nach dem Tod ihres Mannes wurde Elisabeth mit ihren drei Kindern von ihrem Schwager Heinrich Raspe von der Wartburg vertrieben mit der Begründung, sie verschwende öffentliche Gelder für Almosen. Elisabeth sei nicht mehr zurechnungsfähig, war Heinrich überzeugt.
In Eisenach fand sie keine Unterkunft, habe zunächst in einem Schweinestall gehaust. Bei ihrem Onkel mütterlicherseits, dem Bischof von Bamberg, fand Elisabeth dann mit ihren drei Kindern Aufnahme. Der wollte sie wieder vermählen, aber Elisabeth lehnte selbst die Werbung von Kaiser Friedrich ab. Rückkehrende Kreuzfahrer brachten ihr Ring und Gebeine Ludwigs; nach seiner feierlicher Bestattung musste man ihr auf Betreiben von Papst Gregor IX. ihr Witwengut herausgegeben. Legendär ist, dass Gregor, auf Franziskus‘ ausdrücklichen Wunsch, diesem den Mantel von den Schultern nahm und ihn Elisabeth zusandte.
„ohne jeden Abscheu“
Konrad übte weiterhin erheblichen Einfluss auf Elisabeth aus. Das Verhältnis zwischen der jungen Witwe und dem Priester gab schon damals Anlass zu Spekulationen. In der Moderne wurden Elisabeth sogar psychische Störungen unterstellt. Ihr Lebenswandel aber erklärt sich nur mit Blick auf ihre Zeit: Das 13. Jahrhundert war eine Periode intensiver Gottsuche, die sich schonungslos mit der Problematik ungerechten Besitzes auseinandersetzte. Eine radikale Armutsbewegung nach der anderen entstand. Während einige als Ketzer verfolgt wurden, entwickelten sich andere zu den bis heute bekannten Bettelorden. Ganz in dieser Tradition stand auch Elisabeth.
Die Suche nach einer „kompromisslosen Nachfolge Christi mit dem Ziel ihres persönlichen Heilsstrebens“ erkannte Irmtraut Sahmland im Ärzteblatt. Elisabeth habe sich immer weiter zurückgenommen: der Verzicht auf die Repräsentation ihrer sozialen Stellung im Angesicht des gekreuzigten Christi, die asketische Lebens- und Ernährungsweise, schließlich die Abweisung aller Optionen, die einer Witwe in ihrer Position offen gestanden hätten. Mit ihrer Entschädigungssumme gründete sie 1228 ein Hospital vor den Stadtmauern von Marburg und wählte als Patron den erst kurz zuvor heiliggesprochenen Franz von Assisi. 1229 zog sie dann als einfache Spitalschwester dorthin – auf Konrads Druck isolierte sie sich von ihren letzten Freundinnen, sagte sich von ihrer Familie los und gab ihre Kinder ab.
Isentrud von Hörselgau, eine ihrer Mägde, berichtet 1235 im „Libellus de dictis quatuor ancillarum sanctae Elisabeth confectus“: „Und obwohl sie verdorbene Luft nirgends sonst vertragen konnte, ertrug sie doch die Ausdünstungen der Kranken im Sommer, welche die Mägde nur unter Klagen aushielten, ohne jeden Abscheu, behandelte die Kranken heiter mit ihren eigenen Händen und wischte mit dem Schleier ihres Hauptes ihr Antlitz, ihren Speichel, ihren Auswurf und den Schmutz ihres Mundes und der Nase ab. Außer diesen hatte sie in demselben Haus noch viele arme Kindlein, für die sie sorgte. Gegen die war sie gütig und mild, dass alle sie Mutter nannten und zu ihr liefen und sich um sie scharten, wenn sie ins Haus kam. Unter ihnen liebte sie besonders die Krätzigen, Kranken, Schwachen, Hässlichen und Ungestalteten, streichelte ihr Haupt mit den Händen und barg es in ihrem Schoß.“
Im November 1231 wurde Elisabeth krank; es heißt, dass ihre letzten Tage von kindlicher Heiterkeit überstrahlt waren. Wenige Tage vor ihrem Tod hatte sie eine Vision von einem Vogel, der zwischen ihr und der Wand fröhlich sang und sie dazu bewog mitzusingen. Sie verschenkte ihre letzten Sachen und soll sogar noch ihre Gefährtinnen getröstet haben. Elisabeth starb im Alter von 24 Jahren, aufgezehrt in der Fürsorge für andere, und wurde am 19. November in ihrem Franziskushospital in Marburg bestattet. Viele Menschen sollen als Zeichen ihrer Verehrung während der Aufbahrung Stücke von den Tüchern, die Elisabeths Gesicht bedeckten, abgerissen, ihr Haupthaar, Nägel und sogar einen ihrer Finger abgeschnitten haben. Konrad von Marburg leitete spätestens im Frühjahr 1232 ihr Heiligsprechungsverfahren ein und trieb es bis zu seinem Tod energisch und geschickt voran – er wurde 1233 von Adligen wegen seines Fanatismus‘ erschlagen. Von ihm stammt die „Summa Vitae“; die erste Biographie Elisabeths.
„Es kündet St. Elisabeth“
Während des Verfahrens wurden über 600 Zeugen vernommen und 105 medizinische Wunder verzeichnet, die die Elisabeth lebend oder tot vollbracht haben soll; die Hälfte davon bei Kindern unter 14 Jahren. Die Heiligsprechung wurde zu Pfingsten 1235 offiziell verkündet. Der Deutsche Orden, der seinen Verwaltungssitz in Marburg hatte, erweiterte Elisabeths Spital und ließ nach der Heiligsprechung bis 1283 die ihr geweihte Kirche als ersten gotischen Bau in Deutschland errichten. 1236 erfolgte die Erhebung ihrer Gebeine im Beisein des Kaisers Friedrich II. von Hohenstaufen; er stiftete eine Krone, mit der der gesondert abgetrennte Kopf gekrönt wurde. Das Reliquiar befindet sich heute ohne Inhalt im Historischen Museum in Stockholm, das Haupt wird in der Klosterkirche zur Hl. Elisabeth in Wien aufbewahrt.
1240 wurde die neue Predigerkirche in Eisenach der Landgräfin geweiht, 1245 der goldene Schrein mit ihren Gebeinen in Marburg mit der Inschrift „Gloria Teutoniae“ versehen. Die Überlieferung und Verehrung von Elisabeth wurde ab Mitte des 13. Jahrhunderts stark beeinflusst durch die von Dietrich von Apolda vor 1240 verfasste Lebensgeschichte. Die Wallfahrt – durch wundersame Heilungen sich ausbreitend – wuchs nun so schnell, dass sie bald eine mit der zu Jakobus nach Santiago de Compostela vergleichbare Bedeutung erreichte. Besonders die Bettelorden förderten ihre Verehrung als einer Frau königlicher Herkunft, die sich dennoch um Arme kümmert, und sie breiteten die Verehrung in ganz Europa, besonders in Belgien, Frankreich, Italien und Ungarn aus. Im 14./15. Jahrhundert wurden ihr viele Spitäler geweiht.
Philipp von Hessen ließ Elisabeths Reliquien 1539 im Zuge der Reformation aus dem Sarg entfernen und gab den Befehl, die sterblichen Überreste seiner Ahnfrau so zu zerstreuen, dass sie nicht wieder auffindbar sein sollten, um die Verehrung zu beenden. Der Statthalter Georg von Kolmatsch missachtete aber die Weisung, ließ die Gebeine auf sein Wasserschloss Wommen bringen und musste die nach der Niederlage der Protestanten im Schmalkaldischen Krieg 1548 an den Deutschen Orden zurückgeben. Seit dem frühen 19. Jahrhundert erlebte Elisabeths Verehrung neuen Aufschwung mit romantischer Verklärung ihres Tuns und der von ihr gewirkten Wunder. Sie wurde in der bildenden Kunst und der Musik vielfach gewürdigt, etwa durch Franz Liszts Oratorium „Die Legende von der heiligen Elisabeth“ (1865). An ihrem 750. Todestag im Jahre 1981 veranstalteten die Kirchen in der atheistisch-sozialistischen DDR (!) ihre erste Massenversammlung, bei der Zehntausende auf dem Platz unterhalb des Erfurter Domes zusammenkamen. 1994 stellte sich bei seiner Neugründung das Bistum Erfurt unter ihr Patronat.
Der österreichische Kulturhistoriker Friedrich Heer nannte Elisabeth „eine der zartesten, innigsten und liebenswertesten“ Heiligen des Mittelalters; der katholische Theologieprofessor Alban Stolz schrieb, „dass außer der Mutter Gottes Maria noch keine weibliche Person eine größere, weiter verbreitete Verherrlichung auf Erden gefunden hat als die Heilige Elisabeth“. Im deutschen Sprachgebiet ist der 19. November, ihr Begräbnistag, Elisabeths Gedenktag – wie der evangelische und anglikanische. In anderen Ländern ist dagegen ihr Todestag, der 17. November, der katholische Gedenktag. Sie ist Patronin von Thüringen und Hessen, der Witwen und Waisen, Bettler, Kranken, unschuldig Verfolgten und Notleidenden, der Bäcker, Sozialarbeiter und Spitzenklöpplerinnen, des Deutschen Ordens, der Caritas-Vereinigungen, und zweite Patronin des Bistums Fulda. Auch eine Bauernregel ist ihr gewidmet: „Es kündet St. Elisabeth / was für ein Winter vor uns steht.“ Eine Gedenktafel für sie fand Aufnahme in die Walhalla.