Der Wüstenfuchs
14. November 2021 von Thomas Hartung
Das Narrativ der „Sauberen Wehrmacht“ geht vor allem auf seine „ritterliche“ Kriegsführung zurück. Bei der Verbreitung half erheblich Hans Speidel, 1944 sein Stabschef, der den Mythos unbeschadet in die Nachkriegszeit überträgt. Mit seinem 1949 erschienenen Buch „Invasion 1944“ legte er den Grundstein für die Umdeutung seines Vorgesetzten vom hitlertreuen General zum Widerstandskämpfer, der dem NS-Regime zum Opfer fiel. Er habe die „wachsende Amoralität des Regimes“ erkannt und Hitler im Juli 1944 verhaften wollen. Nur seine schwere Verwundung habe verhindert, dass er „zur Tat schreiten“ konnte. Speidel, seit 1950 militärischer Berater Adenauers und Mitplaner der Bundeswehr, gelingt es, seiner Perspektive breite gesellschaftliche Zustimmung zu verschaffen.
Er wird nun zum soldatischen Vorbild auch der Bundeswehr und dient der Traditionsbildung der neuen Streitkräfte. Im November 1956 spricht Speidel als Bundeswehrgeneral erstmals vor Soldaten am Grabe des Feldmarschalls. Er habe sein Gewissen über den Gehorsam gestellt, so Speidel, sein Leben gereiche „den besten Traditionen deutschen Soldatentums und unseres deutschen Volkes überhaupt zur Ehre.“ Zwei Jahrzehnte hat das neue Leitbild Bestand. Straßen, Kasernen und ein Zerstörer werden nach dem Feldmarschall benannt. Erst Ende der 1970er-Jahre gerät das Bild in die Kritik, und es beginnt um ihn ein Deutungsstreit, der bis heute andauert: Johannes Erwin Eugen Rommel, der am 15. November 1891 in Heidenheim an der Brenz zur Welt kam.
Rommel, drittes von fünf Kindern eines Lehrers, ist ein verträumter, blasser und oft kränkelnder Junge, auch in der Schule ist er nicht erfolgreich. Erst später entwickelt sich sein mathematisches Talent, und er interessiert sich für die Fliegerei. Die Zeppelinwerft am Bodensee hat es ihm angetan: Er will Flugzeugingenieur werden. Doch der Vater stellt ihn vor die Wahl: Lehrer oder Offizier. Rommel entscheidet sich für das Militär und tritt am 19. Juli 1910 als Fahnenjunker in das Infanterie-Regiment „König Wilhelm I.“ im oberschwäbischen Weingarten ein. Er wird Leutnant, bildet für das Regiment Rekruten aus und hat eine Freundin: Walburga Stemmer, die im Dezember 1913 Tochter Gertrud zur Welt bringt. Rommel will sie nicht heiraten, sie stirbt 1928 mutmaßlich durch Suizid. Zeitlebens gibt er sich als Gertruds Onkel aus.
1911 hatte er während eines Kriegsschullehrgangs in Danzig Lucie-Maria Mollin kennengelernt, beide heiraten 1916. Im 1. Weltkrieg kämpft Rommel immer an vorderster Front, wird mehrfach verwundet, befördert und ausgezeichnet. Im Oktober 1917 steht er als Kompaniechef des württembergischen Gebirgsbataillons einer italienischen Übermacht an der Isonzo-Front gegenüber. Für die Eroberung des Monte Matajur ist der höchste Orden ausgesetzt: der Pour le Mérite. Rommel will ihn haben. Er erstürmt an der Spitze seiner Truppe den Matajur und hat Erfolg.
Jüngster deutscher Generalfeldmarschall
Nach dem Krieg entgeht er der Entlassung nach den Bestimmungen des Versailler Vertrags. 1921 bis 1929 ist er Chef einer Maschinengewehrkompanie in Stuttgart, wo 1928 auch sein Sohn Manfred zur Welt kommt, der spätere Stuttgarter Oberbürgermeister. Danach lehrt er bis 1933 an der Dresdner Infanterieschule. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten begrüßt Rommel, da er sich eine Revision des Versailler Vertrags erhofft. Er wird Bataillonskommandeur in Goslar und zum Major befördert. Nach einem Intermezzo als Lehrgangsleiter der Infanterieschule Potsdam wird er 1936 in das militärische Begleitkommando von Hitler berufen und veröffentlicht im Jahr darauf sein Buch „Infanterie greift an“, das sich bis 1945 über 400.000 Mal verkauft. Gefördert durch Hitler macht er nun eine Bilderbuch-Karriere und wird zum Helden der NS-Propaganda. Beim deutschen Einmarsch in das Sudetengebiet 1938 hat Rommel den Oberbefehl über das Führerbegleitkommando und wird 1939 Kommandant des Führerhauptquartiers bei der Besetzung von „Resttschechei“ und Memelland.
Als Generalmajor hat er dann bei Beginn des Zweiten Weltkriegs die reguläre Leitung des Führerhauptquartiers inne. Als Kommandeur der 7. Panzerdivision nimmt er 1940 am Frankreichfeldzug teil und erhält das Ritterkreuz. Rommel hatte bis dahin zwar keinerlei praktische Erfahrung in der Führung von Panzerverbänden, erwies sich mit seiner eigenwilligen „Vorne-Führung“ aber als erfolgreich: Er führte lieber aus dem Befehlspanzer von vorne als vom Kartentisch weit hinter der Front. Die Unvorhersehbarkeit und Geschwindigkeit seiner Operationen irritierten nicht nur seine Gegner, sondern auch das deutsche Oberkommando und brachte seiner Einheit den Beinamen „Gespensterdivision“ ein. Er hat einen Auftritt in der NS-Wochenschau. Auch Bildpostkarten sind in dieser Zeit schon weit verbreitet: Rommel entspricht dem Idealtyp des jungen, modernen Offiziers. Nach seiner Beförderung zum Generalleutnant erhält Rommel 1941 mit dem „Unternehmen Sonnenblume“ den Oberbefehl über das deutsche Afrikakorps in Libyen gegen den Widerstand des Oberbefehlshabers des Heers, Walther von Brauchitsch.
Mit einer Offensive gegen die britischen Truppen zu Beginn des Afrikafeldzugs gelingt ihm im Frühjahr die Rückeroberung der Cyrenaika (Libyen), obwohl das Oberkommando des Heeres ihn vorher mehrfach angewiesen hatte, auf das Eintreffen von Verstärkung zu warten. Da die Briten die Enigma-Verschlüsselung entschlüsselt hatten, hörten sie die wiederholten Wartebefehle an Rommel ab und erwarteten keine weiteren Schritte, weshalb ihm weitere Vorstöße gelangen. Prompt wird er Befehlshaber der „Panzergruppe Afrika“. Seine Erfolge bewegen Goebbels und Hitler, ihn zum Volkshelden zu stilisieren. Im April 1941 wird Rommel in der Zeitschrift „Das Reich“ als soldatischer Führer beschrieben, „dem jede neue Aufgabe und jeder neue Boden willkommen ist, Lehrer und Vorbild, politischer Kämpfer und militärischer Schriftsteller, (…) eine Gestalt, die von den jungen Deutschen als diesem Jahrhundert gemäß empfunden wird.“ Insgesamt war der deutsche Einsatz in Nordafrika von Nachschubproblemen aufgrund der bevorzugten Versorgung der deutschen Truppen im Krieg gegen die Sowjetunion geprägt. Umso beachtlicher sind seine Erfolge. Der britische Historiker Paul Kennedy bezeichnet etwa die Niederlage der amerikanischen Landstreitkräfte bei Kasserine als „demütigendste Niederlage“ im gesamten Krieg neben der Schlacht um die Philippinen.
Am 20. Januar 1942 wurde Rommel als erster Soldat des Heeres mit den Schwertern zum Ritterkreuz mit Eichenlaub ausgezeichnet. Aus Rommel wird so „Unser Rommel“, ein Offizier, der immer ganz nahe bei „seinen“ Soldaten ist, ein harter und fordernder Kommandeur, auf den man sich verlassen kann. Nach der Eroberung von Tobruk ernennt Hitler Rommel im Juni zum Generalfeldmarschall, dem jüngsten Deutschlands, woraus weitere Konflikte mit der Generalstabsführung erwachsen. Er rückt bis El Alamein in Ägypten vor, tritt im Berliner Sportpalast auf und wird von der Propaganda als Kriegsheld gefeiert. Nach der Gegenoffensive erteilt Hitler den Befehl zum Halten der Stellung, doch im November beginnt Rommel den Rückzug.
mutiger Feldherr und großer Taktiker
Als die Niederlage der deutschen Truppen abzusehen war, verließ Rommel, zuvor noch zum Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Afrika ernannt, am 6. März 1943 den Kontinent: Die von der deutschen Bevölkerung verehrte Propagandafigur sollte nicht mit der Niederlage in Verbindung gebracht werden. Nur Tage später verlieh Hitler Rommel die Brillanten zum Ritterkreuz mit Eichenlaub und Schwertern als erstem Soldat des Heeres. Wegen seiner Befehlsmissachtung war es erstmals zu Spannungen zwischen Hitler und Rommel gekommen, die sich erst auflösten, als sich Rommels Einschätzung der nicht mehr abzuwendenden Niederlage in Nordafrika im Mai schließlich bestätigte. Insgesamt brachten ihm die Erfolge im Afrikafeldzug große Popularität in der Heimat und offenen Respekt im Ausland sowie den Spitznamen „Wüstenfuchs“ ein. Er gilt als risikobereiter Befehlshaber, der im Gefecht die gegnerischen Schwächen brillant ausnutzen, die Gegenseite durch schnelle und überraschende Vorstöße überrumpeln kann und auch von den Gegnern als mutiger Feldherr und großer Taktiker anerkannt wurde. Im Ausland galt er als der nach Hitler bekannteste Deutsche.
Nach der alliierten Landung in Sizilien erhält Rommel das Kommando über die Heeresgruppe B. Als im August Benito Mussolini gestürzt wird, besetzt Rommel mit seiner Heeresgruppe Italien. Im November bekommt er den Auftrag zur Kontrolle der Verteidigungsmaßnahmen an der französischen Atlantikküste und ist damit Hitler direkt unterstellt – er galt, obwohl nie NSDAP-Mitglied, als Hitlers Lieblingsgeneral. Im März 1944 unterzeichnete Rommel wie alle anderen Generalfeldmarschälle eine Loyalitätserklärung gegenüber Hitler, obwohl er diese als unnötig empfand, da seiner Ansicht nach ein einmal gegebenes soldatisches Treuegelöbnis ohnehin dauerhaften Bestand habe.
Noch im Juni 1944, als die alliierte Invasion unmittelbar bevorsteht, beteiligt er sich an Plänen des Propagandaministers, eine „Zersetzungspropaganda“ gegenüber den westalliierten Truppen aufzubauen. „Er ist auch persönlich an dieser Propaganda interessiert und möchte sie mit allen Mitteln fördern. Er hat sich selbst Gedanken darüber gemacht und bringt praktische Vorschläge für einzelne Sendungen und Themen!“, schreibt Goebbels Beauftragter Alfred-Ingemar Berndt nach einem Frankreich-Besuch bei Rommel. Sowohl in persönlichen Besprechungen mit Hitler im Juni 1944 als auch in seinem Schreiben „Betrachtungen zur Lage“ vom 15. Juli machte er dann deutlich, dass er einen Sieg der deutschen Truppen für unwahrscheinlich hielt.
Am 17. Juli wurde Rommel bei einem Tieffliegerangriff schwer verwundet: er erlitt einen dreifachen Schädelbruch und ein zugeschwollenes linkes Auge, dessen Bewegungsnerven abgequetscht waren. Nachdem er seinen Oberbefehl über die Heeresgruppe niedergelegt hatte, hielt er sich zur Erholung in seinem Haus in Herrlingen auf. Nach dem Attentat vom 20. Juli wird er aus Kreisen der Wehrmachtsführung der Beteiligung am Widerstand beschuldigt: Er habe von den Anschlagsplänen gewusst und sich einer möglichen neuen deutschen Regierung im Vorfeld als potentieller Reichspräsident zur Verfügung gestellt. Schon in den Wochen vor seinem Tod habe der Vater gegenüber der Familie von Todesängsten gesprochen, berichtet Manfred Rommel in Interviews nach dem Krieg. Er bekommt am 7. Oktober den Befehl, sich in Berlin zu melden, um sich vor dem Volksgerichtshof zu verantworten. Mit Verweis auf seinen gesundheitlichen Zustand lehnt er ab. Daraufhin sind am 14. Oktober Hitlers Chefadjutant Wilhelm Burgdorf und der Chef für Ehrenangelegenheiten im Heerespersonalamt Ernst Maisel bei Rommel in Herrlingen angemeldet.
„Offizier aus dem Geiste des Nationalsozialismus“
Nach späteren Verhörprotokollen soll Burgdorf das Protokoll eines Verhörs mit von Hofacker, einem der am Attentat Beteiligten, dabeigehabt haben. Von Hofacker belastet Rommel darin schwer. Auch Maisel gibt später zu Protokoll, dass Rommel, konfrontiert mit der Aussage von Hofackers, geantwortet habe: „Ich habe mich vergessen und ich werde die Konsequenzen ziehen.“ Nach anderen Quellen streitet Rommel die Vorwürfe ab und sieht sich als Opfer einer Intrige. Die Abgesandten Hitlers bleiben unbeeindruckt. Die Generäle stellen ihn vor die Wahl: Entweder er wird dem Volksgerichtshof überstellt und seine Familie in Sippenhaft genommen, oder er begeht Selbstmord und erhält ein Staatsbegräbnis. Rommel entscheidet sich für den Selbstmord. Den Generalen soll Rommel noch gesagt haben: „Ich habe den Führer geliebt und liebe ihn noch…“.
Der 15 Jahre alte Manfred darf sich noch von seinem Vater verabschieden, für immer. Kurz hinter dem Ortsausgang von Herrlingen nimmt sich der Generalfeldmarschall mit der von den Generalen mitgebrachten Zyankali-Kapsel das Leben. Offiziell heißt es: „Generalfeldmarschall Rommel ist an den Folgen einer schweren Kopfverletzung, die er als Oberbefehlshaber einer Heeresgruppe im Westen durch einen Kraftfahrzeugunfall erlitten hatte, verstorben.“ Die NS-Propaganda kann aufgrund seines Nimbus den Slogan „Unser Rommel“ nicht ohne Prestigeverlust Hitlers und seines Regimes ins Gegenteil verkehren. Sie muss den Schein wahren, ja ihn durch ein Staatsbegräbnis sogar noch stärken. Rommel muss gewusst haben, dass er dadurch die Deutung seiner Person und seiner Taten an das Regime abtreten würde. Um seine Familie vor Verfolgung zu schützen, schweigt er und fügt sich in das Unabwendbare. Beim feierlichen Staatsakt im Ulmer Rathaus lässt sich Hitler vom Oberbefehlshaber West, Generalfeldmarschall von Rundstedt, vertreten: Rommel sei ein Offizier „aus dem Geiste des Nationalsozialismus“ gewesen. Sein Herz habe dem Führer gehört.
Rommels Bewertung als unpolitischer, genialer Befehlshaber und Opfer des Nationalsozialismus prägt sein Bild bis heute. Die erste Biographie schrieb ausgerechnet der Brite Desmond Young 1950, der in Nordafrika selbst gegen Rommel gekämpft hatte. Im selben Jahr hatte Rommels Witwe seine Memoiren veröffentlicht mit dem Titel „Krieg ohne Hass“. Damit war laut Daniel Sternal auch „eine positive Leitfigur“ in den Nachkriegswirren erschaffen und dankbar angenommen worden. Weiteren Auftrieb bekam seine Popularisierung mit dem Hollywoodfilm „The Desert Fox: The Story of Rommel“ mit James Mason, der 1952 zum Kassenschlager wurde. Nach dem Krieg entstanden Gruppen wie der „Verband Deutsches Afrika-Korps e.V.“ sowie das „Rommel Sozialwerk e.V.“, die ein Übriges taten.
Ausgerechnet der rechtskonservative Historiker David Irving hatte mit einer 1978 auf Deutsch erschienen Rommel-Biographie erstmals mit großer öffentlicher Resonanz die Beteiligung Rommels am Widerstand angezweifelt. Linke haben inzwischen nachgezogen, vor allem beim Umgang mit seinen Denkmälern, zumal dem am Ortsrand seiner Geburtsstadt Heidenheim. Die „Heidenheimer Geschichtswerkstatt“ hat dessen Umgestaltung oder gar Entfernung gefordert. Eine 2011 angebrachte Informationstafel mit Erläuterungen wurde als peinliches Dokument geschichtlicher Ahnungslosigkeit 2014 wieder entfernt. Seit 2020 wirft ein Gegendenkmal einen „Schatten“ darauf – ein Minenopfer an Krücken, um auf Rommels „Teufelsgärten“ hinzuweisen: Labyrinthe aus hufeisenförmigen Minenfeldern, deren Öffnungen in Richtung der britischen Widersacher wiesen.
„Wenn es um ‚Führerkult‘ und ‚Volksgemeinschaft‘ ging, stand Rommel dem Nationalsozialismus sehr positiv gegenüber. Wenn man aber unter einem ‚Nazi‘ einen Antisemiten, einen Kriegsverbrecher und einen radikalen Weltanschauungskrieger versteht, dann war Rommel kein ‚Nazi‘. Im Gegenteil, er missachtete mehrmals verbrecherische Befehle“, so der Potsdamer Militärhistoriker Jürgen Lieb in der Welt. In der wissenschaftlichen Literatur überwiegt heute das Bild des opportunistischen Karrieristen, der als Produkt seiner Generation wie große Teile des deutschen Offizierskorps lange unfähig, aber bis zu einem gewissen Grad auch unwillig war, die politischen Ziele des Nationalsozialismus in adäquater Weise zu erfassen.