„Verrücktheiten eines Mondsüchtigen“
25. Juni 2022 von Thomas Hartung
Heute lebt er fast nur noch in seinen vielen Adaptionen weiter: Jacques Offenbach setzte ihm in der Oper „Hoffmanns Erzählungen“ (1881) ein Denkmal. Das so genannte Nachtstück „Der Sandmann“ inspirierte Léo Delibes zum Ballett „Coppélia“ (1870); später wurde es musikalisiert von Metallica („Enter Sandman“, 1991), Rammstein („Mein Herz brennt“, 2001), Farin Urlaub („Unscharf“, 2008) und Saltatio Mortis (2013). Peter Tschaikowskij verwendete sein Märchen „Nussknacker und Mausekönig“ als literarische Vorlage für das Ballett „Der Nussknacker“ (1892). Seine „Nachricht von den neuesten Schicksalen des Hundes Berganza“ beeinflusste 1892 Oskar Panizzas „Aus dem Tagebuch eines Hundes“ und 1922 Franz Kafkas „Forschungen eines Hundes“.
Seine „Abenteuer der Sylvester-Nacht“ dienten als Grundlage des weltweit ersten Autoren- und Kunstfilms „Der Student von Prag“ (1913) von Hanns Heinz Ewers. Sein „Fräulein von Scuderi“ wurde als erste deutsche Kriminalnovelle sechsmal seit 1919 verfilmt, so 1955 mit Henny Porten, und von Paul Hindemith als „Cardillac“ auf die Opernbühne gebracht. 1921 bildete sich in St. Petersburg eine Gruppe unpolitischer sowjetischer Schriftsteller u.a. mit Konstatin Fedin, Nikolai Tichonow und Michail Soschtschenko, die sich nach seinem Erzählzyklus „Die Serapionsbrüder“ nannten.
„Das steinerne Herz“ inspirierte Arno Schmidt zu seinem gleichnamigen Roman (1956). Die „Elixiere des Teufels“ wurden in den 1970er Jahren in Ost- und Westdeutschland verfilmt. Sein Kunstmärchen „Klein Zaches genannt Zinnober“ wurde nicht nur 1983 von der DEFA für das DDR-Fernsehen gedreht; sondern auch von der Berliner Band „Coppelius“ zur weltersten Steampunk-Oper (2015) verarbeitet. Und Peter Härtling beschäftigt sich in seinem Roman „Hoffmann oder Die vielfältige Liebe“ (2001) mit seinem Aufenthalt 1808 bis 1813 in Bamberg und stellt ihn als Bürgerschreck, Säufer und Erotomane dar: Ernst Theodor Amadeus Hoffmann, der am 25. Juni 1822 starb.
„mir sehr wohl thut“
Geboren wurde der Anwaltssohn am 24. Januar 1776 in Königsberg als Ernst Theodor Wilhelm Hoffmann. Aus Verehrung gegenüber Mozart ersetzte er Wilhelm 1805 durch Amadeus. Das jüngste von vier Kindern wuchs in zerrütteten Familienverhältnissen mit einem trinkenden Vater und einer hysterischen Mutter auf. Nach der Scheidung der Eltern lebte er bei seiner Mutter, wurde jedoch weitgehend durch den Onkel Otto Dörffer erzogen, einem frommen, strengen und bigotten Juristen. Dieser sorgte jedoch früh für Musik- und Zeichenunterricht, sodass Hoffmann bereits mit 13 Jahren seine ersten Kompositionen zu Papier brachte. Ab 1782 besuchte Hoffmann die reformierte Burgschule, an der er in Theodor Gottlieb von Hippel einen Freund fürs Leben fand.
Im Jahr 1792 nahm er ein Jura-Studium auf, das er 1795 mit dem ersten Examen abschloss. Auch in dieser Zeit zeichnete und komponierte Hoffmann und schrieb seinen ersten, heute verschollenen Roman „Cornaro“. Dem Studium folgten Anstellungen in Königsberg und ab 1796 am Gericht in Glogau. Zwei Jahre später, nach dem erfolgreich abgeschlossenen Referendarexamen, verlobte sich Hoffmann mit seiner Cousine Minna Dörffer und wechselte als Gerichtsrat nach Berlin. Das großstädtische künstlerische Leben konnte er jedoch nur kurze Zeit genießen, da er nach dem Assessorexamen im Jahr 1800 nach Posen versetzt wurde. Aufgrund einiger Karikaturen, in denen sich Hoffmann über die Posener Gesellschaft lustig gemacht hatte, wurde er 1802 nach Plock/Weichsel strafversetzt. Im selben Jahr löste er die Verlobung mit Minna und heiratete die Polin Maria Rorer-Trzynska.
Die Jahre in Plock und ab 1804 als Regierungsrat in Warschau standen vor allem im Zeichen der Musik. Neben seinem Hauptberuf schrieb, zeichnete und komponierte Hoffmann, engagierte sich beim Aufbau einer „Musikalischen Gesellschaft“ in Warschau und konnte als deren Dirigent auch erstmals eigene Werke aufführen. Mit dem Einrücken der französischen Truppen verlor er 1807 seine Anstellung und begab sich in Berlin auf Stellensuche, die jedoch erfolglos blieb. So nahm er 1808 die Stelle des Kapellmeisters am Bamberger Hoftheater an. Wenngleich diese Anstellung wieder nur kurz währte, da das Theater 1809 Konkurs anmelden musste, war die Zeit in Bamberg für Hoffmanns Zukunft entscheidend, da er sich nun vermehrt der Schriftstellerei zuwendete.
Das tat er zunächst in Form der Musikkritik, die eine seiner zentralen Tätigkeiten im Rahmen der Mitarbeit an der Allgemeinen Musikalischen Zeitung darstellte. In der von Johann Friedrich Rochlitz herausgegeben Zeitschrift veröffentlichte Hoffmann neben seiner ersten Erzählung „Ritter Gluck“ (1809) auch zwei wichtige Beethoven-Rezensionen, die später in den Aufsatz „Beethovens Instrumentalmusik“ im ersten Teil der Kreisleriana einflossen. Die Musik der Romantik, deren Wesen Hoffmann als „die unendliche Sehnsucht“ bezeichnete, lag ihm besonders am Herzen – in Beethoven sah er sie in ihrer reinsten Form manifestiert, und der dankte ihm 1820 höchstpersönlich: „Sie nehmen also, wie ich glauben muß, einigen Antheil an mir; Erlauben Sie mir zu sagen, dass dieses von einem mit So ausgezeichneten Eigenschaften begabten Manne ihres gleichen, mir sehr wohl thut.[…]“
„unsere gemeinschaftliche Sache“
Im Kontext der Musikkritik entwickelte Hoffmann auch die fiktive Figur des Kapellmeisters Kreisler, die in gewisser Weise sein literarisches Alter Ego darstellt und eine ganze Reihe von Kreisleriana-Erzählungen in den „Fantasiestücken“ und in dem Roman „Lebensansichten des Katers Murr“ durchzieht. 1810 fand Hoffmann eine neue Anstellung am Bamberger Theater als Direktionsgehilfe, Dramaturg und Dekorationsmaler. Daneben komponierte, schrieb und zeichnete er weiter und verdiente Geld als Musiklehrer. Dabei verliebte er sich heftig in seine minderjährige Musikschülerin Julia Mark, was ihm sehr zu schaffen machte und mitsamt seinen wechselnden Gefühlen in seine literarischen Werke einfloss.
Da Julia 1812 heiratete und auch die finanziellen Probleme Hoffmanns größer wurden, nahm er im darauf folgenden Jahr das Angebot an, als Theaterkapellmeister in Dresden zu wirken. Während er zunehmend literarisch tätig war und weiterhin Erzählungen in der Allgemeinen Musikalischen Zeitung veröffentlichte, spielte die Musik hier noch ein letztes Mal die Hauptrolle: Mit der in Bamberg begonnenen und 1814 vollendeten Oper „Undine“ gelang ihm sein wohl wichtigstes musikalisches Werk, das 1816 in Berlin uraufgeführt wurde. In einem Brief vom 29. Mai 1815 an Friedrich de la Motte-Fouqué, der das Libretto nach seiner eigenen Erzählung verfasste, nennt Hoffmann „die Undine ganz und gar jetzt unsere gemeinschaftliche Sache“. Diesen Brief unterzeichnete er mit dem Namen „Kreisler“.
Wie viele andere Ereignisse seines Lebens fand auch die Zusammenarbeit mit Fouqué ihren literarischen Niederschlag in Hoffmanns Werken: Ein fiktiver Briefwechsel zwischen Baron Wallborn und Johannes Kreisler, hinter denen sich niemand anderes als Fouqué und Hoffmann verbergen, erschien 1814 in Die Musen. Eine nordische Zeitschrift. Zusammen mit der Kreisleriana und weiteren Erzählungen, darunter dem Märchen „Der goldene Topf“, wurden sie von Hoffmann auch in die 1814 und 1815 erschienene Sammlung „Fantasiestücke in Callots Manier“ aufgenommen, mit der er seine ersten großen literarischen Erfolge feiern konnte. In unterschiedlichen Varianten begegnet in den Fantasiestücken der Einbruch des Fremden in die Realität, der Widerstreit von bürgerlicher Normalität und fantastischer Kunst, von äußerer Vernunft und geheimnisvoller Tiefe des menschlichen Unbewussten.
Die hier abgesteckten Themen durchziehen auch Hoffmanns spätere Texte und können als geradezu charakteristisch für sein Gesamtwerk gelten. So prägt die Erfahrung einer zerrissenen, gedoppelten Wirklichkeit auch den ab 1814 entstandenen Roman „Die Elixiere des Teufels“, der 1815/16 in zwei Bänden erschien. Er konnte damit allerdings nicht an den Erfolg der Fantasiestücke anknüpfen, wie er sich zunächst erhofft hatte. Charakteristisch ist die Dichotomie zwischen Normalität und Wahn, Realität und Fantasiewelt, Bürgerlichkeit und Exzentrik, die zum Klischee vom „Gespenster-Hoffmann“ führte. Viele Texte stehen in Manier traditioneller Schauerromane und thematisieren die Gefährdung des Menschen durch das Unheimliche sowie die Frage nach der Grenze zwischen Genie und Wahnsinn. Er nahm gewissermaßen den „magischen Realismus“ vorweg.
„fieberhafte Träume eines kranken Gehirns“
1814 beendete Hoffmann seine musikalische Laufbahn in Dresden und kehrte nach Berlin zurück. Mit der Hilfe Hippels fand er dort eine Anstellung am Kammergericht und wurde 1816 zum Kammergerichtsrat befördert. Zugleich baute er sich in der Berliner Gesellschaft rasch einen großen Kreis von Freunden und Bewunderern auf; er pflegte Umgang mit Tieck, Chamisso, Eichendorff, Humboldt und weiteren bedeutenden Persönlichkeiten der Zeit. In einem Leben zwischen Kammergericht und der Weinstube Lutter & Wegner, in der er sich fast allabendlich mit dem Schauspieler Ludwig Devrient traf, fand er doch genug Zeit zum Schreiben und entwickelte eine hohe literarische Produktivität. Ab 1816 arbeitete Hoffmann an einem zweiten Erzählungszyklus, den „Nachtstücken“ mit dem bekannten „Der Sandmann“. Der Text rund um Automaten, Androiden und verrückte Wissenschaftler beeindruckt bis heute und beeinflusste die spätere phantastische Literatur ungemein.
1819 wurde Hoffmann in eine „Commission zur Ermittlung hochverräterischer Verbindungen und anderer gefährlicher Umtriebe“ berufen. Durch seine aufrichtige Arbeit, die häufig Angeklagte vor polizeilicher Verfolgung schützte, zog er den Unmut des Berliner Polizeidirektors auf sich. Mit der Beförderung in den Oberappellationssenat erhielt Hoffmann 1821 andere Aufgaben. In einem Disziplinarverfahren wegen der Karikierung des Polizeidirektors in dem 1822 erschienen Roman „Meister Floh“ und einer darauf folgenden Zensur des Werkes fand diese Zeit ein trauriges Nachspiel. Bereits 1819 war Hoffmann schwer erkrankt, man vermutet Syphilis. Dennoch fand er in den nächsten Jahren weiterhin die Kraft, neben der täglichen Arbeit literarisch tätig zu sein. Mit „Das Fräulein von Scuderi“ (1818) und den „Lebens-Ansichten des Katers Murr“ (1819-21) erschienen wichtige Spätwerke.
An seinem Geburtstag 1822 begann an seinen Füßen und Beinen eine Lähmung, die rasch voranschritt, sich auf seine Arme ausbreitete, sodass er nicht mehr schreiben konnte, und schließlich zum Verlust der Sprache führte. Seine geistigen Fähigkeiten blieben dabei erhalten. Er erlag in seiner Wohnung in der Berliner Taubenstraße einer Atemlähmung. Sein Grab ist bis heute ein Ehrengrab Berlins. Er ging in die Kunstgeschichte ein als Universalkünstler, dessen Talente in ihren vielfältigen Ausdrücken nie scharf voneinander zu trennen waren: Musik, Schriftstellerei und Zeichnen gingen häufig ineinander über. „Die Perspektive ist immer verrückt, das Gravitätische wird zum Grotesken, das Würdevolle lächerlich, dürre Beine vollführen Bocksprünge, auf Glatzen sitzen Fliegen, Hosenlatze stehen offen, und die Sprache stolpert, lispelt, schmatzt und raunt“, heißt es zu ihm im Onlineportal exlibris.
Nach seinem Tod fielen die Reaktionen in seinem Heimatland abwertender aus als im Ausland. „Dieser Hoffmann ist mir widerwärtig mit all seinem Geist und Witz von Anfang bis zu Ende“, urteilte Wilhelm Grimm; Goethe erkannte gar „fieberhafte Träume eines leichtbeweglichen kranken Gehirns“, ja „Verrücktheiten eines Mondsüchtigen“. Interessanterweise war er der Lieblingsautor von Karl Marx. Auch Richard Wagner schätzte ihn, „Der Fliegende Holländer“ verdankt Hoffmann seinen mystisch-nachtschwarzen Charakter. „Der Teufel kann so teuflisches Zeug nicht schreiben“, schwärmte der Heinrich Heine als Student. In der DDR prägte er u.a. Franz Fühmann und Wolfgang Hilbig, aber auch Ingo Schulze und Uwe Tellkamp bekannt sich zu ihm als ihr Vorbild: „Vater aller besseren Literatur über das Problem [DDR] ist, meiner Ansicht nach, E.T.A. Hoffmann, bei dem die (Alb-)Träume in die Wirklichkeit wucherten“, schrieb Tellkamp. In Bamberg wird er bis heute als Namensgeber des Theaters, eines Gymnasiums und eines Literaturpreises gewürdigt.
Im Ausland wurde und wird er bis heute geschätzt und zum meistgelesenen Autor der deutschen Romantik. So gilt er als Leitfigur der zweiten Generation der französischen Romantik mit Théophile Gautier an der Spitze. In Russland war er sehr beliebt, prägte Nikolai Gogol und Fjodor Dostojewski. Meisterregisseur Andrej Tarkowski plante einen Film „Hoffmanniana“, der aber nicht mehr zustande kam. Auch Edgar Allan Poe und George Sand schätzten sein Werk, das Grundlage von rund 100 Filmen weltweit gewesen sein soll. Seine Wirkung im gesamteuropäischen Kontext stellt eins der interessantesten Kapitel der Rezeptionsgeschichte der deutschen Romantik dar.