„ein großartiger Rocker“
15. September 2022 von Thomas Hartung
Er stand für Lebensfreude, ewige Jugend, basslastige Hits mit Streicherarrangements – und für ein Genre. Er trug glitzernde Anzüge, Damenschuhe, Federboas und Zylinder und klebte sich Anfang 1971 für einen Auftritt in der populären Fernsehsendung Top of the Pops glitzernde Sternchen ins Gesicht: Der Glam Rock war geboren, dem sich Stars wie Gary Glitter, Slade, Sweet, Mud oder auch David Bowie verschrieben. Dieter Bohlen nannte seinen ersten Sohn in Erinnerung an ihn „Marc“: Marc Bolan. Der Sänger, Komponist, Autor und Journalist kam am 30. September 1947 als Mark Feld in London zur Welt.
Als Sohn jüdischer Eltern wuchs er in einfachen Verhältnissen auf und entwickelte durch die Plattensammlung seiner Eltern seine erste Beziehung zur Musik. Als er acht Jahre alt war, kaufte ihm sein Vater eine Platte von Bill Haley, die nach seinen Worten den Ausschlag für seine spätere Karriere geben sollte. Er brachte sich auf selbstgemachten Instrumenten das Gitarrespielen bei und gründete 1956, nachdem er seine erste Gitarre geschenkt bekommen hatte, in der Schule eine Skiffle-Band namens Susie and the Hula Hoops. 1962 wurde er wegen schlechten Benehmens relegiert und schlug sich mit Gelegenheitsjobs als Barkeeper und Garderobier in der Mod-Szene, aber auch als Schauspieler durch.
Sein gutes Aussehen brachte ihm kurzzeitig einen Job bei einer Modelagentur ein, doch 1964 entschied er sich für eine Karriere in der Musik, jobbte als Straßenmusiker mit Songs von Bob Dylan und erhielt 1965 seinen ersten Plattenvertrag bei Decca, die seinen Namen ohne seine Zustimmung in Marc Bowland änderte. Er bestand darauf, den Namen Bolan zu schreiben. 1967 tourte er mit „John’s Children“ als Vorband für „The Who“ durch Deutschland und gründete mit Steve Peregrin Took die akustische Formation „Tyrannosaurus Rex“. Bolan schrieb, ganz dem Geschmack der Hippie-Kultur entsprechend, Songs über Feen, Elfen und Zauberer, die er mit psychedelischen Sounds versah. Die Band stach durch den ungewöhnlich hohen Gesang Marc Bolans und die stimmlichen Improvisationen der beiden Musiker hervor, die sie akustisch, mit Gitarre und Percussion, auf einem Teppich sitzend, vortrugen.
So lernte sie der aufstrebende US-amerikanische Produzent Tony Visconti kennen, der maßgeblich an der Entwicklung des streicherspezifischen Gruppensounds beteiligt war und 1970 den Namen zu „T. Rex“ verkürzte: „Was ich in ihm sah, war pures Talent. Ich habe Genie gesehen. Ich habe in Marc einen potenziellen Rockstar gesehen – von der ersten Minute an, als ich ihn kennengelernt habe.“ Bolan schrieb auch Gedichte und Geschichten, veröffentlichte 1969 „The Warlock of Love“, das in die britischen Bestseller-Charts kam, und heiratete 1970 June Child. In neuer und erweiterter Besetzung entstand im Hochzeitsjahr mit „Ride a white swan“ der erste Hit: Die Geburtsstunde der „T.Rextasy“.
Seiner Zeit voraus
Ab 1971 hatte die Band vier Nr.1-Hits in Folge. Der fünfte im September vor 50 Jahren schaffte es „nur“ auf Platz 2, gehört aber zu den unsterblichen Hymnen der Musikgeschichte: „Children of a Revolution“. Elton John und Ringo Starr traten bei der Aufnahmesession als Gastmusiker auf: „Jeder wollte ein Stück Bolan, und er war das Gesicht einer ganz neuen Generation, die ihre Stimme laut und deutlich hörbar machte“, schrieb Joe Taysom im faroutmagazine. Eigentlich nur als Zugabe für den Soundtrack zu Starrs Bolan-Film „Born to Boogie“ gedacht, wurde der Song in zahlreichen Werbespots eingesetzt und vielfach gecovert, so von Bono, Elton John oder den Scorpions. Später wurde eine 12-Minuten-Version für das dritte T. Rex-Album produziert. Der Refrain „You Won’t Fool the Children of the Revolution” wurde zum geflügelten Wort und gab auch Kunstprojekten ihren Namen. „T. Rex“ wurden bisweilen schon als Nachfolger der „Beatles“ angesehen.
Doch der Erfolg verkehrte sich von nun an in eine tragische, von Drogenexzessen, Alkohol, Dekadenz und Selbstzweifeln durchwobene Geschichte eines fallenden Rockstars. Das bis zur Peinlichkeit übertriebene Bühnengehabe Bolans, durch das er seine Bandkollegen zu Hintergrundstatisten degradierte, führte zunehmend zu schlechten Kritiken, und die Fans verloren das Interesse. Als er sich auch bei der Produktion für das nächste Album in den Vordergrund drängen und auf Tony Viscontis Vorschläge nicht länger eingehen wollte, verließ dieser schließlich das Team. Bolan trennte sich dann auch von seiner Frau, löste die Band vorübergehend auf und ging aus steuerrechtlichen Gründen nach New York, wo er mit seiner Freundin Gloria Jones zusammenlebte.
Als sie schwanger wurde – Sohn Rolan kam 1975 zur Welt –, versuchte Bolan, T. Rex wieder aufleben zu lassen. Die Platten stiegen nicht mehr so hoch in die Charts ein wie früher, aber er schaffte es noch immer, Hallen auszuverkaufen. Er wurde auch journalistisch tätig, bekam eine eigene Kolumne beim Record Mirror und eine eigene Fernsehshow „Marc“ bei Granada. Hier erwies sich Marc Bolan als seiner Zeit voraus und engagierte Bands wie die „Boomtown Rats“ oder „The Jam“. Damit gab er der gerade entstehenden Punk-Bewegung eine Bühne; auf seiner letzten großen Tour engagierte er „The Damned“ als Vorband. Spätere Größen wie Bob Geldof oder Billy Idol hatten in der „Marc“-Show ihre ersten Fernsehauftritte überhaupt. In seiner letzten Show war David Bowie zu Gast.
Am 16. September 1977 verlor Gloria Jones in London die Kontrolle über Bolans Mini, mit dem sie ihren Freund nach einem Restaurantbesuch heimfahren wollte, prallte gegen einen Betonpfahl am Straßenrand und dann gegen einen Baum. Marc Bolan war sofort tot, Jones überlebte schwer verletzt. Um die Unfallursache ranken sich bis heute Gerüchte, die von zu niedrigem Reifendruck bis zu einem Reifenschaden und unzureichend angezogenen Radmuttern reichen. Am Unfallort befindet sich heute eine Gedenkstätte. Maria Callas starb übrigens am selben Tag, doch ihr Tod wurde in Großbritannien weniger beachtet.
2020 erschien mit „Angel Headed Hipster” ein Tribute-Album, auf dem Bolan Stars wie U2, Joan Jett, die Lennon-Söhne, Nena oder Nick Cave ihre Reverenz erweisen. „Ich bin in diesen Künstler eingetaucht“, erklärte Produzent Hal Willner. „Dabei fand ich heraus, dass über Bolan kaum jemals als ‚Komponist‘ gesprochen wurde. Es ging nur darum, was für ein großartiger Rocker und wie innovativ er war.“ „Die Leute kannten ihn als großartigen Musiker, Songwriter, Gitarristen, aber er war auch ein Dichter“, sagte Ringo Starr, als er Bolan im selben Jahr posthum in die Rock and Roll Hall of Fame aufnahm. „Tatsächlich war ihm seine Poesie genauso wichtig wie seine Musik. Er hatte einen großartigen Stil und war wirklich anders als alle anderen, die ich je getroffen habe.“