„purer Sex“
19. Oktober 2022 von Thomas Hartung
Die Haare streng nach hinten gelegt. Mit Pomade auf schwarzglänzend getrimmt. Das Make-up adelsblass, die Kontraste ausdrucksstark. Der Blick aus schattigen Augen, der Mund diplomatisch neutral. Statt ihm das Gesicht eines monsterähnlichen Untoten zu geben, erscheint sein Dracula als charmanter Adeliger, der mit schwarzem Anzug und gutem Benehmen auf jeder Dinnerparty ein gern gesehener Gast wäre. Er ist sympathisch und besitzt eine finstere Würde, obwohl er nur auf eines aus ist: rotpulsierende Halsschlagadern unter blasser Frauenhaut. Er „pflegte mit seiner aristokratischen Spielweise und dem ungarischen Akzent eine theatralische, artifizielle Darstellung und vermittelte doch etwas von der Boshaftigkeit und Besessenheit seiner Gestalten“, befand Mira Winthagen auf kino.de: Bela Ferenc Dezső „Lugosi“ Blaskó, der am 20. Oktober vor 140 Jahren im damals zu Österreich-Ungarn, heute zu Rumänien gehörenden Lugos geboren wurde.
Er war das jüngste von vier Kindern eines erfolgreichen ungarischen Geschäftsmanns und riss von zu Hause aus, als seine Eltern 1893 beschlossen, ihn gegen seinen Willen aufs Gymnasium zu schicken. Stattdessen verwirklichte er seinen Traum einer Schauspielerkarriere. Zunächst tingelte er durch die Provinz und spielte vor allem als Shakespeare-Darsteller an verschiedenen ungarischen Bühnen. 1917 kam er mit dem Film in Berührung und wurde – unter dem Pseudonym Arisztid Olt – in verschiedenen ungarischen Stummfilm-Produktionen vornehmlich als jugendlicher Liebhaber besetzt, so in einer 1918 entstandenen Verfilmung des Oscar-Wilde-Romans „Das Bildnis des Dorian Gray“.
Da er als Schauspieler vom Kriegsdienst befreit war, meldete er sich freiwillig für den Fronteinsatz bei einer Skipatrouille. Der Leutnant der Infanterie in der österreichisch-ungarischen Armee wurde wegen zahlreicher Verwundungen und seiner Tapferkeit wegen Lugosi mit mehreren Orden geehrt. Nach Kriegsende schloss sich Lugosi der Kommunistischen Partei Ungarns an, gründete eine Schauspielergewerkschaft und führte mehrfach Protestmärsche gegen die Republik unter Graf Mihály Károlyi an. Nach der Niederlage der Räterepublik wurde auf aktive Kommunisten eine regelrechte Treibjagd veranstaltet.
Lugosi stand offenbar auf einer „Schwarzen Liste“ als Vertreter der Schauspielergewerkschaft, er musste mit seiner ersten Frau Ilona das Land verlassen. Verborgen in einem Zigeunerkarren, hatten sie alle Grenzübergänge unbemerkt passiert, wurden aber gesichtet, wie sie über ein Feld auf ein Flugzeug zuhasteten. Sie entkamen dem Kugelhagel; Lugosi sah seine Heimat nie wieder. „Nach dem Krieg nahm ich an der Revolution teil und später fand ich mich dann auf der falschen Seite wieder“, sagte er selbst. Dass die falsche Seite die Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei bedeutete, ließ Lugosi in Hollywood stets unerwähnt.
„ausschließlich Frauen attackieren!“
Zunächst emigrierte das Paar nach Wien, ging dann 1919 nach Berlin, wo Lugosi, wie er sich nun in Anlehnung an seinen Geburtsort nannte, in der Stummfilmszene Fuß fassen konnte, wenn auch nur mit Nebenrollen. So spielte er unter anderem in den frühen Karl May-Verfilmungen „Die Todeskarawane“ und „Die Teufelsanbeter“ (beide 1920) mit. Er gehörte auch zur Besetzung des als verschollen geltenden Films „Der Januskopf“ (1920) von Friedrich Wilhelm Murnau nach „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“, womit dieser Film zugleich Lugosis ersten Kontakt mit dem Horror-Genre darstellte. Nach zwei Jahren in Deutschland ließ er such scheiden und verdingte sich als Hilfsheizer an Bord eines italienischen Frachters, um es in Amerika zu versuchen.
1923 hatte er sein amerikanisches Bühnendebüt. Obwohl er kaum Englisch sprach und seine Texte phonetisch memorieren musste, bekam er gute Kritiken und schaffte es, nicht nur beim Stummfilm zu landen, sondern auch bei seiner zweiten Frau, die wieder Ilona hieß. 1927 kam Lugosi schließlich zu der Rolle, die seiner amerikanischen Karriere den entscheidenden Auftrieb geben sollte. Die Titelrolle in der Broadway-Produktion von „Dracula“, mit der er sein Publikum 265 Aufführungen lang in den Bann schlug, war ihm geradezu auf den Leib geschrieben. Für viele war es schwierig, den Schauspieler von seiner Rolle zu trennen, und Lugosis ausgeprägtes Ego fand in dieser Identität eine neue Bestimmung. Lugosi, mittlerweile mit seiner dritten Gattin Beatrice liiert, wurde für die Filmrolle zunächst nicht in Erwägung gezogen und später mit einem Knebelvertrag verpflichtet, der ihm 500 Dollar die Woche zusprach und in dem von einer Beteiligung an den Einspielergebnissen keine Rede war.
Der Schauspielerin Carol Borland zufolge war er „purer Sex“. Wer jetzt die Nase rümpft und an Pornographie denkt, irrt: Lugosi war ein Gentleman-Vampir. Nie entblößte er auf der Bühne oder im Film seine spitzen Eckzähne. Dieses Tabu brach erst der türkische Dracula Atif Kaptan, der seine Sauge-Beißer 1953 schamlos in die Kamera hielt. Aber natürlich hüllte er sich dabei, wie jeder stilvolle Dracula nach 1931, in Bela Lugosis Vampirumhang. Aber auch sonst hielt sich Bela Lugosi weit mehr an Sitte und Moral als andere Draculas: Eigentlich stand ja im Drehbuch, er solle den bewusstlosen Immobilienmakler Renfield beißen. Derart unglaubliche Homoerotik war den Universal Studios für einen Horrorfilm einfach zu gruselig und so schickte man an den Regisseur die Notiz: „Dracula soll ausschließlich Frauen attackieren!“
„Dann hat sie mich verlassen“
Die Figur machte Lugosi zum neuen König des Horrors. Er war jetzt ein Star und kostete das neue Leben in vollen Zügen aus. Lugosis Karriere florierte mit Filmen wie „Der Tod ist ein schwarzes Kamel“ (1931), „Morde in der Rue Morgue“ (1932), „White Zombie“ (1932) und „Chandu the Magician“ (1932). Doch die harten Zeiten warteten gleich um die Ecke: 1936 begann die große Horror-Hausse drastisch abzuebben. Lugosi war verzweifelt und Lilian Arch, seine neue Lebensgefährtin, war schwanger. Als Bela junior das Licht der Welt erblickte, musste das Paar sein protziges Anwesen in den Hollywood Hills verkaufen und in eine bescheidenere Gegend in San Fernando Valey umziehen.
1939 erlebte der Horrorfilm einen neuen Aufschwung, doch Lugosi nahm seine Karriere immer noch nicht ernst. Für die Rolle des Igor in „Frankensteins Sohn“ neben Boris Karloff und Basil Rathbone bekam er wiederum nur 500 Dollar die Woche. Im selben Jahr hatte Lugosi seine einzige komische Rolle in Ernst Lubitschs „Ninotschka“. In den kommenden Jahren ging es beruflich nur noch bergab. In den fünfziger Jahren drehte er eine schundige Billigproduktion nach der anderen. Von 1953 bis 1955 trat er sporadisch in Las Vegas auf, wo er sich in Nachtclubs im Draculakostüm zeigte und in Särgen Interviews gab. In „Bride of the monster“ von Ed Woods, dem „schlechtesten Regisseur der Welt“, für den er in vier Filmen auftrat, spielte er einen Wissenschaftler, der an einem atomaren Übermenschen bastelt. In Tim Burtons Biopic „Ed Wood“ wurde Lugosi von Martin Landau gespielt, der dafür den „Oscar“ als bester Nebendarsteller erhielt.
Immer häufiger arbeitslos, begann Lugosi zu trinken; zudem wurde sein Gesundheitszustand durch seine Morphiumabhängigkeit verschlechtert. Seine Verletzung aus dem Ersten Weltkrieg hat zu einem Zwölffingerdarmgeschwür geführt, das ihm permanente Schmerzen verursachte. Lillian versuchte ihm zu helfen. „Sie hat mir die Spritzen gesetzt“, so Lugosi 1953. „Sie gab mir immer kleinere Dosen. Am Ende hatte ich bloß noch die blanke Nadel. Ich hatte es geschafft, ich war drüber weg. Dann hat sie mich verlassen. Mit unserem Sohn. Er war mein Fleisch und Blut. Deshalb fing ich wieder mit den Drogen an. Sie hat mir das Herz gebrochen.“ Lugosi stand vor einem Scherbenhaufen. Er fand Trost auf dem Hollywood Boulevard, wo er häufig beim Betreten eines Schusterladens gesichtet wurde, der einer Drogenconnection als Tarnung diente.
„vorsichtshalber einen Pfahl durchs Herz“
An Lillians Geburtstag 1955 begab sich Lugosi freiwillig in das Los Angeles General Hospital, um seine Sucht behandeln zu lassen, und wurde Aufmacher der Zeitungen. Lugosi sah seine Chance, er war wieder im Gespräch und erhielt nach seiner Überweisung ins Metropolitan State Hospital Kalifornien Hunderte von Fanbriefen und Genesungsschreiben von Prominenten. Nach fünfzehn Wochen wurde Bela als geheilt entlassen – als Schatten seiner selbst. Mittlerweile 73 Jahre alt, sah er das anders: „Gebt mir ein paar Monate, dann bin ich wieder in alter Form.“ Im selben Jahr wurde Hope Lininger die fünfte und letzte Mrs. Lugosi.
Während seines letzten Lebensjahres war er kaum mehr in der Lage zu arbeiten. In seinem letzten Film „Die Schreckenskammer des Dr. Thosti“ (1956) spielte er einen Stummen, weil er seinen Text nicht mehr behalten konnte. Im Sommer 1956 kehrte er mit dem Stück „Devil’s Paradise“ ein letztes Mal auf die Bühne zurück: Ironischerweise einem Antidrogen-Drama. Am 16. August 1956 starb er an einem Herzanfall. „Er wollte in einem seiner Draculakostüme beerdigt werden“, so Hope. So dramatisch und chaotisch sein Leben war, so dramatisch war auch seine Beerdigung. Gerüchte besagen, dass Frank Sinatra die Kosten für die Bestattung übernommen habe und dass am Grab zwischen Vincent Price und Boris Karloff folgende Worte gefallen sein sollen: „Man sollte ihm vorsichtshalber einen Pfahl durch das Herz treiben.“
Lugosi war nicht so schaurig-schön wie George Hamilton, nicht so dämonisch wie Christopher Lee, nicht so unheimlich wie Gary Oldman, aber er ist bis heute Kult und hat mit seiner Dracula-Darstellung für alle Ewigkeit einen Filmmythos geschaffen. Das sah auch die englische Band Bauhaus so, die mit ihrem Stück „Bela Lugosi’s dead“ dem Schauspieler und seiner wichtigsten Rolle ein Denkmal setzte. Auch andere Punk- und Metal-Bands huldigten ihm, außerdem diente er Jim Henson als Inspiration für die Muppets-Figur „Graf Zahl“ in der Sesamstraße. Auf dem „Hollywood Walk of Fame“ erinnert heute ein Stern an den charismatischen Schauspieler.
Sehr schön und informativ geschrieben. Ed Wood von Tim Burton steht auf meiner Watchlist.