„Wack fall the daddy-o“
3. November 2022 von Thomas Hartung
„Whisky im Krug“ klingt zunächst wie eine Zustandsbeschreibung – ist aber viel mehr. Deutsches Grillgewürz – einen „rauchig pikanten BBQ-Allrounder mit Whisky, Pfeffer und geräucherter Paprika“ verheißt der Hersteller –, eine polnische Steakhouse-Kette („Beard, Booze & Rock’n Roll“), und eben: Ein Lied. „Das wahre Genie des Songs liegt in der Tatsache, dass es zu jedem Anlass passt, sei es in einer Kneipe, auf einer Hochzeit oder auf andere Weise. Es garantiert, dass die Leute beim ersten Refrain fröhlich unisono mitsingen“, so Mick McStarkey im Onlinemagazin farout: „Whisky in the Jar“. In der Fassung von „Thin Lizzy“ wurde es am 3. November 1972 veröffentlicht.
Seine Ursprünge liegen im kulturellen Dunkeln. Es handelt von einem Wegelagerer, der von seiner Jenny – ob Frau oder Geliebte, bleibt offen – angezinkt und um seine Beute betrogen wird. Dabei bleibt unklar, warum sie es getan hat. Der Geprellte entkommt nach seiner Verhaftung und sucht seinen Bruder, der Soldat ist. Sobald er ihn gefunden hat, will er mit ihm gemeinsam durch die Hügel streifen, denn eines ist sicher: Er wird ihn besser behandeln als die verräterische Jenny… Der Räuber erzählt die Etappen seiner Geschichte in sieben Strophen, die aber nur selten komplett zu hören sind, und nach jeder Etappe kommt er auf den Whiskey zu sprechen; den Gerstensaft, wie er ihn nennt, den er schon früh am hellen Morgen genießt, um hübschen Jungfern den Hof zu machen. Ort der Ereignisse ist der Südwesten Irlands, als Ortsbezeichnungen finden sich unter anderem Cork, Kerry, Kilkenny oder Killarney. Oft werden Strophen weggelassen oder inhaltlich miteinander kombiniert: Es gibt eine kaum überschaubare Zahl von Varianten, mit abweichenden Texten oder Namen.
Der Refrain nach jeder einzelnen Strophe „Mush-a ring dum-a do dum-a da/Wack fall the daddy-o, wack fall the daddy-o/There’s whiskey in the jar” wird als „nonsense –lyric“ gesehen, die keine richtige Bedeutung hat, sondern nur ihres Klangs wegen verwendet wird. Es gibt zahlreiche Berichte darüber, woher der mysteriöse Originalautor seine Inspiration genommen haben könnte. So wird behauptet, dass einige Zeilen und Elemente des Liedes einer Handlung gleichen, die der historischen Ballade „Patrick Fleming“ über den gleichnamigen berüchtigten Wegelagerer ähnelt, der 1650 hingerichtet wurde. In seinem Buch „The Folk Songs of North America“ meinte der Musikhistoriker Alan Lomax, dass das Lied aus dem 17. Jahrhundert stammt. Er behauptete sogar, John Gays „The Beggar’s Opera“ (1728) sei davon inspiriert worden, weil Gay einen Balladenhändler „Whiskey in the Jar“ singen hörte.
In Bezug auf die Geschichte des Liedes behauptet Lomax: „Das britische Volk des 17. Jahrhunderts mochte und bewunderte seine örtlichen Wegelagerer; und in Irland (oder Schottland), wo die ‚Gentlemen of the road‘ englische Grundbesitzer beraubten, galten sie als Nationalpatrioten. Solche Gefühle inspirierten diese ausgelassene Ballade.“ Ein Lob dem Robin Hood. Irgendwann kam das Lied in die Vereinigten Staaten und war wegen seiner respektlosen Haltung gegenüber britischen Beamten ein Favorit im kolonialen Amerika. Die amerikanischen Versionen spielen manchmal in Amerika und handeln von amerikanischen Charakteren. Eine solche Version aus Massachusetts handelt von Alan McCollister, einem irisch-amerikanischen Soldaten, der wegen Raubes an britischen Beamten zum Tode durch Erhängen verurteilt wird. Es gibt auch ein Lied über irische Truppen im amerikanischen Bürgerkrieg namens „We‘ll Fight for Uncle Sam“, das in der gleichen Melodie gesungen wird.
eine „Nummer zum Anfassen“
Das Lied erschien in einer Form, die seiner modernen Version nahe kam, in einem Flugblatt Mitte der 1850er Jahr als Vorläufer namens „The Sporting Hero oder Whiskey in the Bar“. Es taucht auch unter dem Titel „There‘s Whiskey in the Jar“ in der Sammlung von Patrick Weston Joyce 1909 auf, enthält aber nur die Melodielinie ohne Text. Versionen des Liedes wurden in den 1920er Jahren in Nordirland vom Liedersammler Sam Henry gesammelt; es ist „Roud Folk Song Index- Nr. 533“. Der Liedersammler und Historiker Colm Ó Lochlainn behauptete, seine Mutter habe das Lied 1870 in Limerick von einem Mann namens Buckley gelernt, der aus Cork stammte. In seinem Buch „Irish Street Ballads“ sind die Texte aus dem Gedächtnis niedergeschrieben, so wie er sie von seiner Mutter gelernt hatte. Er nannte das Lied „There‘s Whiskey in the Jar“, und seine Version ist praktisch identisch mit denen, die die irischen Bands der 1960er Jahre verwendeten.
Das Lied erlangte erstmals große Bekanntheit, als es die irische Folkband „The Dubliners“ international aufführte und in den 1960er Jahren auf gleich drei Alben aufnahm. In den USA wurde es durch „The Highwaymen“ bekannt, die es 1962 auf ihrem Album „Encore“ aufzeichneten. Und dann also 1972. Thin Lizzys Frontmann Phil Lynott gedachte es der Plattenfirma ursprünglich nur als B-Seite anzubieten von „Black Boys On The Corner“, weil sie kein anderes Material zur Verwendung hatten. Der Plattenfirma gefiel es jedoch so gut, dass sie sich entschied, „Whiskey in the Jar“ zur Single zu machen. Das Arrangement von Lynott blieb dem Original durchaus treu, modernisierte es aber mit einer seufzenden Gitarrenlinie und Lynotts heiserem Kneipengesang.
Für McStarckey entwickelte er sich zu einem der besten Rock-Tracks, „die jemals veröffentlicht wurden – und zu einem der beständigsten von ‚Thin Lizzy‘“. Denn es sei eine „Nummer zum Anfassen“, ein „Muss für jeden Musiker“. Die Nummer blieb als Single 17 Wochen lang an der Spitze der irischen Charts und erreichte europaweit Top-Platzierungen. Der Song wurde danach unter anderem von Roger Whittaker, The Pogues, Johnny Logan, Rednex, Paddy Goes To Holyhead, Bryan Adams und vielen anderen neu interpretiert. In Deutschland waren es Santiano (Original) sowie Klaus und Klaus (deutsch: „Rum Buddel Rum“). Daneben existieren israelische (Yarkon Bridge Trio), isländische (Þrjú á palli), schwedische (Euskefeurat ), norwegische (Lillebjørn Nilsen), finnische (Eläkeläiset), dänische (Lars Lilholt), französische (Nolwenn Leroy), uruguayische (El Cuarteto de Nos) und estnische (Poisikõsõ) Versionen.
Traurige Ironie der Geschichte: Infolge seines jahrelangen Alkohol- (und Drogen)konsums war Phil Lynott bereits 1986 gestorben und erlebte diesen Erfolg kaum noch. Sein Grab befindet sich auf der Halbinsel Howth Head bei Dublin, eine Skulptur von ihm in der Innenstadt. Sein kunstvoll verzierter Grabstein stammt vom irischen Künstler Jim Fitzpatrick, der auch einige Cover von Thin-Lizzy-Alben gestaltete. Explizit auf Lynotts Version bezogen sich U2, Pulp, Childline, Smokie, Belle und Sebastian, Gary Moore, Christy Moore, der 2007 zu Irlands „greatest living muscian“ ernannt wurde, die Simple Minds und Grateful Dead. Metallica gewannen mit ihrer Interpretation („Garage Inc.“) zwölf Jahre nach seinem Tod einen Grammy in der Kategorie „Best Hard Rock Performance“. Bei einem Konzert im Slane Castle im irischen Meath spielten sie nicht nur live ihre Coverversion, sondern zollte Frontmann James Hetfield mit dem Satz „Wir lieben dich, Phil“ dem Bassisten, Sänger und Bandleader Respekt. Er lebt nicht nur in diesem Lied weiter.