“Ich habe meine Träume leben dürfen, was will man mehr?”
30. März 2011 von Thomas Hartung
Medial bestens präsent ist er ja schon seit Tagen und auch Nächten (vom Samstag zum Sonntag war „Niedecken-Nacht“ auf WDR 3), obwohl er erst heute 60 wird: Wolfgang Niedecken. Der Mann ist sozial engagiert, malerisch begabt, musikalischer Globetrotter (von Konzerten mit Bruce Springsteen bis zur Beteiligung am preisgekrönten „Rilke-Projekt“) – einfach ein guter Musiker; auch wenn man sich in seinen Regiolekt erst einhören muss… Ich verbinde mit ihm, oder besser ihm und BAP, zwei wesentliche Erinnerungen aus den Anfangsachtzigern, als ich gerade in Magdeburg zu studieren begann.
Die erste ist die LP „Vun drinne noh drusse“, von der Niedecken gern kolportiert, dass mit AMIGA eine Auflage von 50 000 Platten vertraglich vereinbart gewesen sei, er aber „mindestens 800 000 signiert“ habe… Wer jemals in der DDR eine Lizenzplatte im wahrsten Wortsinn „erstanden“ hat, wird nie die Glückshormone vergessen, die sich nach erfolgreichem Erwerb im Körper einstellten. Ein Erwerb übrigens, der mich umgerechnet mehr als anderthalb Monatswarmmieten im Studentenwohnheim oder ca. 29 Mensa-Essen oder 322 Brötchen kostete – soviel nebenbei zur hanebüchenen Ökonomie dieses Staatswesens. Und auf dieser LP finden sich zwei Balladen, die ich bis heute zum Besten zähle, was deutsche Musiker je eingespielt haben: „Do kanns zaubere“ und „Eins für Carmen un en Insel“. Ich weiß heute, dass beide Lieder für Frauen entstanden waren: das erste reichlich promilleselig am Fenster träumend für eine Wahrsagerin, das zweite schwitzend am Strand der griechischen Insel Zakynthos, auf der Gitarre klimpernd, die Noch-Ehefrau im Blick:
„…die ganze Insel unser Zimmer ist, der Strand das Bett im Himmel ist, wo Carmen dann der Engel ist, der sich und mich erlöst…“
Ich habe gerade dieses Lied rauf und runter gespielt, was dem Zustand des Vinyls nicht unbedingt zuträglich war, wohl aber dem meiner liebesgeplagten Seele…
Die zweite ist das Magdeburger Mini-Konzert vom Dezember 1983, damals Ausgangspunkt einer kulturpolitischen Farce. Kurz davor war schon bekanntgeworden: BAP tourt durch 14 Städte!!! Aber bis ich davon erfahren hatte, waren die Konzertkarten längst „ausverkauft“ (will vor allem heißen „von Funktionären verteilt“). In diesem Dezember nun spielte BAP (Playback) drei Titel in der (einzigen) Jugendsendung des DDR-Fernsehens „Rund“, die in jenem Monat aus meiner Studienstadt gesendet wurde – ich hatte wieder keine Chance, live dabei zu sein, aber sah die Aufzeichnung. Ich weiß ebenfalls erst heute, dass die Band schon zu diesem Auftritt zu Aussagen etwa der Art genötigt werden sollte, dass die SS 20 der Sowjetunion Friedensraketen seien und die ganze DDR eine einzige große Friedensbewegung. Aus Frust darüber schrieb Niedecken seine Botschaft in einen neuen Song „Deshalv spill mer he“ („Deshalb spielen wir hier“), der die Solidarität aller Pazifisten thematisiert.
Es war ein „kölsches Lied“, das SED und FDJ so herausforderte. Am 12. Januar 1984, schon im „Hotel Unter den Linden“, versuchte der DDR-Machtapparat BAP den ganzen Tag lang zu überreden, darauf zu verzichten – vergebens. Die bereits ausverkaufte Tournee wurde dann verboten und abgesagt. Am Abend des 13. Januar – das erste Konzert im Rahmen der Reihe „Rock für den Frieden“ sollte live aus dem Palast der Republik übertragen werden – meinte der Ansager, dass BAP nicht bereit gewesen sei, „unter dem Logo der weißen Taube auf blauem Grund“ zu spielen. Als er stattdessen die „Puhdys“ ankündigte, erhob sich ein Pfeifkonzert. Wir saßen im Wohnheim vor dem Fernseher und verstanden die Welt nicht mehr…
Niedecken machte später einen Song über den überstürzten Abgang: „Unger Linde, een Berlin“. Und er machte mit „Alles em Lot“ ein paar Wochen nach der Einheit auch noch eine schöne Ballade. Aber kein anderes Lied hat in mir wieder zum Klingen gebracht, was da 1983 klang.
Alles Gute, Wolfgang!
Hab so meine Probleme mit Niedecken. Ist mir zu sehr Gutmensch. Ich erinnere mich noch ein Konzert gegen Rassismus in Köln, an dem, gefördert durch Daniel Cohn-Bendit, auch die Böhsen Onkelz teilnehmen wollten. Durften sie dann nicht, weil Niedecken (und Grönemeyer) ihr Veto eigelegt hatten. Will sagen: auch diese Szene hat ihre festen Feindbilder, braucht die für ihr Selbstverständnis und pflegt sie entsprechend. Aber nicht desto trotz: „Kristallnacht“ ist für mich bis heute einer der großen Gänsehautsongs.
So unterschiedlich sind die Perspektiven… die Geschichte kannte ich nicht, finde sie aber trotzdem passend zum Typus Mensch „kompromißlos“ – er hätte ja auch das Lied aus den DDR-Konzerten weglassen können und tats nicht. Und „Kristallnacht“ ist gut, aber die beiden anderen waren „gänsehautiger“. Wie geschrieben, hatte sicher was mit meiner Befindlichkeit und Situation zun tun.
Verdammt lang her…meine ersten durchzechte Nacht mit eben jener Band aus jener Zeit, als es noch Musixboxen gab, Geld rein, alle BAB-Titel gehört, nächste Kneipe, … in Düsseldorf…Verdammt lang her passt also doppelt. Danach verzweifelte Versuche, den mir Nächsten meine Begeisterung zu übertragen. Es half auch kein Übertragen der Texte…Bei Niedecken merkt der Hörer auch immer, wenn er die falsche Frau hatte. Es überträgt sich :)))) mit 60 noch cool drauf, ist doch ein gutes Ziel. Wohl an.
„Bei Niedecken merkt der Hörer auch immer, wenn er die falsche Frau hatte.“ Schöner Satz! Obwohl: er war noch mit Carmen zusammen, die ihn auch durchaus noch inspirierte, aber sein Herz gehörte schon einer anderen… einfach ein wunderschönes Lied!