Strahlende Zukünfte…
1. April 2011 von Thomas Hartung
Eigentlich wollte ich mich nicht explizit zu Fukushima äußern. Die politischen Wirkungen in Deutschland liegen offen, über andere will ich derzeit nicht nachdenken. Aber da fiel mir gestern während einer langen Bahnfahrt die Reflexion über einen dystopischen Text in die Hände – und ließ mich meine Gedanken zugleich auf einen zweiten, ähnlichen, älteren richten. Beide bewegten mich nicht so sehr wegen des literarisierten Schreckens, sondern der Art des geradezu weihevollen Umgangs damit. Die Rede ist von Don deLillos warenfetischistischem Roman „Underworld“ (1997, dt. Köln 1998) und Gert Prokops „Muddies“, radioaktive Müllwüsten inmitten der „Nolands“, die in mehreren seiner grandiosen SF-Geschichten um den Privatdetektiv Timothy Truckle (1977, 1983) eine Rolle spielen und in denen es „mutierte Sperlinge gibt, so groß wie Gänse“.
Das Weihevolle daran: beide Schreckensgegenden gelten als Sehenswürdigkeit und erfreuen sich touristischen Zuspruchs. Wie ist das möglich?
Nach Günter Leypoldt geht auch von Abfall und Müll „ein auratischer Glanz aus“. Für ihn entwirft DeLillo als „author-as-waste-manager“ eine Art negative Theologie, nach der man sich Gott nur über das Prinzip des Unerkennbaren und Unergründbaren annähern kann. Die Arbeit an monumentalen Müllhalden erscheint wie der „Bau der Großen Pyramide in Gizeh“, die verantwortlichen „Müllmanager“ als „Mitglieder eines esoterischen Ordens, […] Eingeweihte und Seher, die an der Zukunft bauten.“ Die Metapher der Resakralisierung als Müllveredelung?
Der mögliche Schrecken bei deLillo hat eine Form und Magie, die Endlagerung von Sondermüll „etwas Religiöses“, dem mit „einem Gefühl von Ehrerbietung und Furcht‘ nachgegangen wird. Das in unterirdischen Salzstollen vergrabenen Plutonium umgibt gar „eine Aura des Feierlichen“. Unrecyclebarer toxischer Müll bilde demnach ein erhabenes Äußeres zum Warenkreislauf, sei das mit sakralem Glanz erstrahlende ganz Andere der Gesellschaft. Von daher ist anzunehmen, „dass Orte der nuklearen Endlagerung eines Tages zu wichtigen Gedenkstätten werden könnten, ‚zu einer fernen Landschaft der Nostalgie‘. Je gefährlicher der Müll ist, desto heroischer wird er.“ Verstrahlter Boden, heilig im nächsten Jahrhundert: „Der Plutonium-Nationalpark. Die letzte Heimsuchung der weißen Götter. Touristen mit Atemmasken und Schutzanzügen“. Was für eine Vision…
Dabei ist DeLillo durchaus schwere Kost. Er versucht, das eigene Schreiben den Mühlen literarischer Warenkreisläufe durch Einsatz aufwändiger Wahrnehmungserschwerungsstrategien zu entziehen, den Text semantisch so schillern zu lassen, dass er sich erst bei mehrmaliger Lektüre erschließt und dadurch seine kulturelle Halbwertszeit erhöht.
Das mag „Avantgardisierung“ sein. Aber auch der Versuch, den vielen sinkenden Halbwertszeiten – nicht nur des Plutoniums – etwas entgegen zu setzen. Irgendetwas, das etwas länger „bleibt“.