Was sind Texte wert?
4. April 2011 von Thomas Hartung
Ja, die Frage ist abgedroschen. Ja, es gibt ebenso viele Antworten wie Antworter. Und erst recht: ja, vor allem aus publizistischer Perspektive gibt es als Wertmassstab die Qualität nicht.
Es unterscheiden sich auf der ersten Ebene
- Prozessqualität (Arbeitsprozesse bei der Zeitungsplanung, Erstellungsprozesse beim TV-Beitrag…) von
- Produktqualität (ein Gesamtprodukt wie ein TV-Programm ist in horizontalen und vertikalen Aus- und Querschnitten zu analysieren) und diese wiederum von
- personaler Qualität (ein guter Redakteur kann an schlechte Kameramänner oder Cutter geraten).
Es unterscheiden sich auf der zweiten Ebene
- die Qualitätsbewertung durch die Rezipienten (Qualität als Resultat – was gesehen, gelesen… also „gekauft“ wird) von der durch
- die Experten (Qualität als Norm – was „die“ Medienkritik lobt/ tadelt; manchmal auch Kollegen und/oder Vorgesetzte) und diese wiederum von der durch
- indirekte Indikatoren wie die Zahl abonnierter Agenturen, die Zahl der Redakteure mit Diplom oder die Zahl der Überstunden (Qualität als Funktion).
Es unterscheiden sich auf der dritten Ebene
- die Qualitätsbewertungen aufgrund schwer vergleichbarer Strukturen (ein Lokalsender ist etwas anderes als die ARD),
- Funktionen (eine Nachricht ist etwas anderes als eine Talkshow),
- journalistischen Rollenzuweisungen (ein „Anwalt“ ist etwas anderes als ein „Entertainer“),
- journalistischen Tätigkeiten (ein Redakteur ist etwas anderes als ein Auslandsreporter) und
- publizistischen Eigenschaften wie Aktualität (eine stündliche Nachrichtensendung ist etwas anderes als eine Wochenzeitung) oder Genre (eine Glosse ist etwas anderes als ein Porträt).
Aber die Frage muss gestellt werden angesichts der Zunahme sogenannter „Redaktions-„ oder „Textportale“, die vor allem ein Internet-Geschäftsmodell zur Aggregation von Print-, manchmal auch Online-Inhalten darstellen. Was hier an Geschäftsgebaren aufscheint, finde ich haarsträubend; mit Qualität hat es nichts zu tun.
Beispiel: textbroker.de. Das ist laut Eigendarstellung eine „Plattform für Studenten, Hausfrauen, Rentner und Schüler, die sich in ihrer Freizeit etwas dazuverdienen möchten.“ Man meldet sich samt Angabe seiner Spezialgebiete an und sucht aus einer Liste mit Stichworten aus diesen Gebieten die Angebote heraus, zu denen man schreiben will. Die abgenommenen Texte werden vom Auftraggeber bewertet, diese Bewertungen bestimmen den Verdienst: ein 3-Sterne-Autor (Startlevel) erhält 0,6 Cent pro Wort; ein 5-Sterne-Autor (höchstes, aber kaum erreichbares Level) 4 Cent; das bedeutet pro 500 Wörter (ca. 1 DIN A4-Seite) zwischen 4,50 und 20 €. Der Verkaufspreis der Texte liegt zwischen 6 und 30 €.
Wer sind die angeblich 19 000 Autoren, die „Ihre Fachartikel, Rezensionen, Reiseberichte, Übersetzungen u.v.m. in beeindruckendem Umfang und zu günstigen Tarifen“ schreiben? Und was sind das für Unternehmen, die Texte zu diesem Preis beauftragen bzw. nur einen solchen zu zahlen bereit sind? Hinzu kommt die Unverfrorenheit des folgenden AGB-Passus: „Der Autor räumt Textbroker bereits hiermit an jedem übermittelten Text ein zeitlich, räumlich und inhaltlich unbeschränktes, umfassendes, unwiderrufliches, ausschließliches, übertragbares und unterlizenzierbares Recht ein, den jeweiligen Text auf sämtliche bekannte und unbekannte Nutzungsarten zu nutzen, zu bearbeiten und in bearbeiteter Form zu nutzen.“
Beispiel: spredder.de. Das ist laut Eigendarstellung „ein Online-Shop für Qualitätsjournalismus. Autoren schreiben, Redaktionen kaufen, um alles andere kümmern wir uns.“ Auch hier registriert man sich und stellt zugleich einen Artikel ein, der von einer Redaktion gelesen und zur Veröffentlichung freigegeben wird. Redaktionen zahlen für Spredder-Artikel 2 Cent pro Zeichen, also etwa 70 bis 80 Cent pro Zeile. 70 Prozent sind das Honorar für den Autoren, 30 Prozent die Provision für Spredder – bei einem durchschnittlichen Artikel von 3000 Zeichen erhält der Autor 42 Euro, plus Mehrwertsteuer.
Die Vermutung stimmt: noch fehlen die Autoren, die mitmachen. Und ob diese Festpreise hilfreich sind…
Beispiel: DieRedaktion.de. Diesen „Marktplatz für journalistische Inhalte“, auf dem Verlage Aufträge ausschreiben und Journalisten sich mit detailliertem Autorenprofil präsentieren können, startete kürzlich die Deutsche Post. Hierfür müssen sich die Autoren mit anerkanntem Presseausweis und über das Postident-Verfahren registrieren. Die Post übernehme für Beiträge, die über das Portal verkauft würden, das Management der Honorarforderungen, die der Autor einschließlich der gesetzten Rechte selbst festlegen kann. Wer Beiträge über die Plattform absetzt, muss die Post mit 30 Prozent am Umsatz beteiligen, zudem wird eine Jahres-Anmeldegebühr von 72 Euro fällig.
Was ist beobachtbar: eine einstellige Zahl von Aufträgen, eine knapp zweistellige Zahl angemeldeter Verlage, knapp 700 registrierte Journalisten. Ein belebter Basar sieht anders aus.
Fazit: Texte sind wirklich nichts mehr wert. Wer seine für wertvoll hält, erfährt Unverkäuflichkeit und also Wertlosigkeit. Und wer Texte erwirbt, scheint in der Mehrzahl kein Verständnis mehr für deren Wert zu haben. Ein Dilemma. Und eine Lösung sehe ich – leider – nicht.
Ergänzung (11.04.): Eine Erhebung der Viadrina-Universität hat die „Wert“-Haltigkeit – oder besser Wertlosigkeit – publizistischer Texte statistisch belegt: http://www.freischreiber.de/home/skandal%C3%B6se-zust%C3%A4nde-freie-tageszeitungs-journalisten-ostdeutschland-erhalten-im-schnitt-30-cent