1,2 Polizei; 3,4 haben wir…
6. April 2011 von Thomas Hartung
Es ist manchmal ebenso unglaublich wie empörend, wie zu bestimmten kalendarischen Ereignissen in dieser Landeshauptstadt behördlich agiert wird.
In dieser Woche beginnt das Sommersemester, was leicht an der Zunahme des Radverkehrs erkennbar ist. Zu dieser Vokabel fallen exzessiven Radlern wie mir sofort diverse Dinge ein, die in Dresden im Argen liegen: zuvörderst der Zustand der Nord-Süd-Route „Albertplatz – Carolabrücke – Pirnaischer Platz – Bahnhof/HTW – Uni“. Zwar ist die Verbindung auch im Netzplan der Stadt enthalten, „aber es sind keine baulichen Maßnahmen geplant“, bemängelte schon im Juli letzten Jahres der Dresdner Allgemeine Deutsche Fahrradclub ADFC: „Es soll zwar alles schön werden, aber nichts kosten.“ Gerade die Carolabrücke ist an der Synagoge ein Nadelöhr: aus dem kombinierten Rad-/Fußweg wird ein Fußweg.
Nun muss das Ende eines gemeinsamen Rad-/Fußwegs nicht besonders gekennzeichnet, der Sicherheitsabstand aber an den Bedürfnissen des Fußgängerverkehrs ausgerichtet werden – wenn es denn einen Sicherheitsabstand gäbe: das Straßen- und Tiefbauamt hat prophylaktisch das Schild „Zeichen 1012-32 ‚Radfahrer absteigen‘“ aufgestellt. Die sollen ihr Rad hier schieben, um jede potentielle Unfallgefahr im Keim zu ersticken.
Schon das Schild muss Widerspruch fordern. Abgesehen davon, dass sich ein Remscheider mit einer aktuellen Petition beim Deutschen Bundestag seit Juni letzten Jahres dafür einsetzt, das Verkehrszusatzzeichen wegen Dopplung abzuschaffen (mit dem Zeichen 254 „Verbot für Radfahrer“ existiert schon eins): laut ADFC kann „Radfahrer absteigen“ als Zusatzzeichen kein Ge- oder Verbot enthalten und darf auch nicht einzeln aufgestellt werden. Im Verkehrszeichenkatalog steht es unter „sonstige Hinweise durch verbale Angaben“, werde aber von Behörden und Straßenbauunternehmen oftmals als Verbotsschild missbraucht. Außerdem zeigt es nicht an, für welche Streckenlänge diese Anordnung gilt: es ist damit möglich abzusteigen, sofort wieder aufzusteigen und weiterzufahren. In der StVO wird es allerdings an keiner Stelle erwähnt. Wer die Aufforderung des Zeichens nicht befolgt, kann auch nicht per Verwarnungs- oder Bußgeld bestraft werden, da das Zeichen auch im Bußgeldkatalog nirgends erwähnt wird. Weil es keine verkehrsrechtliche Wirkung hat, bleibt nur die mögliche zivilrechtliche Bedeutung. Die zuständige Straßenverkehrsbehörde möchte insbesondere an bestimmten Gefahrenpunkten Radfahrern die Weiterfahrt untersagen, weil die Behörde die Gefahr nicht beseitigen kann oder will. Mit der Aufstellung des Schildes „Radfahrer absteigen“ besteht für die Behörde daher die Möglichkeit, sich der Amtshaftung zu entziehen und das Risiko der Weiterfahrt auf den Fahrradfahrer zu übertragen. Das einzige Risiko an dieser Stelle ist die Schmalheit des Wegs durch DVB-Wartehäuschen bzw. Synagogenecke. Aber wer das normale Personenaufkommen an normalen Wochentagen auf diesem Abschnitt kennt, weiß um die Promillezahl dieses Risikos.
Ergo: die wenigsten halten sich daran, vor allem aus Zeitgründen. Wer geradeaus schiebt, kann sich entweder in die Akademiestraße als Rechtsabbieger einordnen oder am Kurländer Palais die Schießgasse zum Pirnaischen Platz nehmen. Wer nach links den Straßenbahnsteig quert, muss zunächst die Brückenzufahrt zur Akademiestraße queren und sich dann wieder auf die Petersburger einordnen – beide Querungen haben unterschiedliche Ampelphasen.
So weit, so schlecht. Aber was passiert just zum Semesterstart? Genau dieser Abschnitt wird von der Polizei „bestreift“; zu genau jenen Zeiten, da das Studenten- (und Dozentenaufkommen) Richtung Uni am größten ist. Und die Beamten wiederholen mit drastischen Paraphrasen das, was jenes ominöse Schild eh recht barsch ausdrückt – von Androhungen eines Bußgelds ganz zu schweigen: „Sind Sie 10 Jahre alt? Kinder bis zu diesem Alter dürfen auf Fußwegen fahren, Sie nicht mehr.“
Eine Zumutung. Aufgabe der Polizei ist auch nach dem sächsischen Polizeigesetz, „Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren (Gefahrenabwehr).“ Diese originäre Aufgabe aller deutschen Polizeien hat präventiven Charakter: es soll eine für ein Rechtsgut bestehende Gefahr abgewehrt werden; was durch „Bestreifen der Gebiete und Einrichtungen wahrgenommen“ wird.
Klingt gut. Aber wie wird aus dem Risiko eine Gefahr? Hier wird allen Radfahrern Augenmaß abgesprochen, sie werden unter Generalverdacht gestellt und damit kriminalisiert. Für mich liegt hier ein klassischer Ermessensmissbrauch vor. Da das Schild keine verkehrsrechtliche Wirkung hat und eben nicht per Verwarnungs- oder Bußgeld bestraft werden kann, erkennt die Behörde den Sinn und Zweck des Gesetzes nicht. Falls mich meine Rechtskenntnisse nicht ganz trügen, heißt das Ermessensdisproportionalität: Der Ausgleich zwischen den betroffenen öffentlichen und privaten Belangen wird in einer Weise vorgenommen, die zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht (d. h. die Gewichtung ist zwar vom Ansatz her in Ordnung, aber das Rangverhältnis der Belange wird fehlerhaft in Beziehung zueinander gesetzt bzw. verkannt).
Vielleicht sollte die Stadt zunächst überlegen, wo Streifen sinnvoller eingesetzt werden können. Und dann mit dem ADFC das lange avisierte Wegekonzept umsetzen. Auch wenn das etwas kostet. Kleiner Tipp: die Milliardenklage gegen die Gagfah. Ein paar Millionen kommen am Ende sicher raus.